Theaterkritik: An der Hand ins Herz der Finsternis
So eng liegen Humor und Horror beisammen: Die Adaption des Romans von David Grossmann wird zum Triumph für Samuel Finzi
Stand-up-Comedy ist ein merkwürdiges Genre. Da stehen Menschen auf der Bühne, die Witze machen. Meist erzählen sie dabei Anekdoten, manchmal aber auch eine Geschichte. So wie Dovele Grinstein. Er rempelt und stolpert durch politisch inkorrekte Pointen und übergriffige Kommentare auf Kosten einzelner Gäste. Nach und nach flicht er auf der Bühne eines israelischen Provinzorts in den makabren Lach-Reigen die düstere Geschichte seiner Jugend ein. Sie kreist um ein großes Trauma, das mit der Shoah zu tun hat: Beide Eltern waren Überlebende des Völkermords an den Juden. Ihre Wunden, Ängste, Überlebensstrategien haben sie ihm vererbt.
So tieftraurig wie komisch und berührend schildert der große israelische Autor David Grossmann das in seinem 2016 auf Deutsch erschienenen Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“, der einerseits einen einzigen Abend beschreibt: Doveles letzter Auftritt, seine Lebensbeichte. Zum anderen reißt er ganze Schicksale an und auf, blickt tief hinab in den mörderischen Abgrund der europäischen Geschichte. Dass man dazu durch mitunter ziemlich öde Blödeleien muss (aber auch durch etliche großartige Pointen), gehört dazu: Witze, wie ja auch der berühmte jüdische Humor generell, werden hier zur Überlebensstrategie.
Regisseur Dušan David Pařízek hat – als Koproduktion zwischen Salzburger Festspielen, Burgtheater und Deutschem Theater – im vergangenen Jahr aus dem Roman einen Theaterabend gemacht. Jetzt ist er in Berlin in den DT-Kammerspielen angekommen. Ein Abend, der auf Samuel Finzi zugeschnitten ist, ganz von ihm getragen wird. Finzi präsentiert einen Taschenspieler, der seine Tricks offen herzeigt, der immer wieder tief in die Showkiste greift, dann abschweift, sich verzettelt, den Kontakt zum Publikum verliert, dann das Steuer herumreißt – ganz wie der Dovele des Romans.
Anfangs jazzt er noch am Cello zusammen mit Daniel Regenberger am Klavier herum, singt „Que sera“ und „Stand by me“. Später tigert er an der Rampe umher, reißt die Arme und die Augen auf, fährt sich nervös durchs schüttere Haar, blinzelt ins Publikum auf der Suche nach einem imaginären Opfer. Er dirigiert die Zuschauer, bringt Männer dazu, sich vor ihren Frauen zu verneigen, und, schwieriger noch, alle mitzusingen und mitzuschnippen. Ein Entertainer, der auch aus schlechten Witzen noch das Beste herausholen kann. Ein großspuriger Zampano, dem nur manchmal der Faden entgleitet. Dann nimmt er wieder einen tiefen Zug aus der Wodkaflasche.
Masken sind das, die manchmal wegbrechen. Einmal steht er vor der großen hellen Holzwand, die später krachend umstürzt, und sieht ganz alt aus, verwittert. Fast versinken die kleinen müden Augen im grauen Gesicht. Wie er uns dann an die Hand und ins Herz der Finsternis mitnimmt, ist großartig!
Als sein Sidekick tupft Kathleen Morgeneyer eine traumverlorene Pitz hin. Im Roman ist sie eine körperbehinderte Frau in Doveles Alter, die eisern an das Gute in ihm glaubt. Pařízek hat für die Bühnenfassung zusammen mit Dramaturgin Eva-Maria Voigtländer ihre Figur aufgewertet, sie zu einer Art feenhaften Assistentin gemacht, die sich ins Spiel einmischt. Sie hilft ihm mit der Kamera aus, die immer wieder Standbilder fixiert, begleitet ihn einmal am Akkordeon, bewirft die Bühne so lange mit Blumen, bis sie sich in eine Wiese verwandelt.
Gestrichen ist dafür der Richter, ein Jugendfreund Doveles, den seinerseits ein Schuldverhältnis mit Dov verbindet und der bei Grossmann zum Erzähler wird, immer wieder prägnant das Geschehen zusammenfasst und kommentiert. Das ist schade, weil es die Vielschichtigkeit der Vorlage verflacht. Aber es ist unerlässlich. Auch die Bühnensituation in einem israelischen Provinzkaff lässt sich ja schlecht reproduzieren mit seinem lärmenden, eingreifenden Publikum. Bei der Berlin-Premiere jedenfalls blieben alle sitzen, niemand protestierte.
Als Regisseur und Bühnenbildner nimmt Pařízek sich zurück, setzt ganz auf seine Schauspieler und eine nahezu leere Bühne. Kamila Polívková hat Finzi in einen eleganten Anzug gesteckt, der bald aus dem Leim geht, in seine Einzelteile zerfällt wie Dovoles Leben, ein Fall für dessen Vater, der mit Lumpen Geld machte.
Kurz: Vieles stimmt an diesem pausenlosen Zweieinhalbstünder. Für Samuel Finzi aber ist es ein Triumph.