Theaterkritik: Unterhaltsam, aber flach
Quer durch die Zeiten und Genres: Die Bühnenversion von Virginia Woolfs Roman aus dem Jahr 1928 gelingt nicht vollständig und verpasst Chancen
Kühl wummern Beats durch die Nacht, tanzen sich Partypeople eckig in Ekstase. Nur die Perücken auf ihren Köpfen irritieren – weißgepuderte barocke Turmfrisuren, die so gar nicht in die Clubatmosphäre passen.
Zeiten, Stile, Geschlechter – alles geht durcheinander in Katie Mitchells „Orlando“-Inszenierung an der Berliner Schaubühne. Das ist schon in Virginia Woolfs Roman von 1928 so. 400 Jahre vergehen wie im Flug, Orlando wechselt Kleidung, Geschlecht, Partner und Partnerinnen, auch das Wetter ändert sich beständig – nur sein beziehungsweise ihr Wesen bleibt gleich. Zu Beginn ist er Edelmann zur Zeit Elisabeths I., später wird er Gesandter im Osmanischen Reich, erwacht dort eines Tages als Frau, kämpft im viktorianischen England dagegen, sich aufs Dekorative beschränken zu sollen – und erlebt in den 1920ern, dass endlich ihr Langgedicht gedruckt und gelesen wird.
Während Woolf mit subtiler Ironie zeigt, dass Moral und Geschlechternormen menschengemacht sind und selten Frauen zum Vorteil gereichten, wird Mitchell deutlich. Auf den ersten Blick ist alles wie immer: Unten steht ein Bühnenraum, der mit seinen ausgebleichten Holzwänden Landhaus, orientalischer Palast oder Kapelle sein kann und in dem die Live-Bilder entstehen. Oben hängt die Kinoleinwand, auf der die Bilder zum Film gemischt werden; in der Tonkammer daneben sitzt die Erzählerin.
Statt Realismus zeigt Mitchell diesmal einen wilden Genremix, statt Ernst Humor. Queen Elisabeth I. lässt ihre Brüste baumeln, Renaissance-Menschen koksen, England ist Brandenburg, London das Berlin von heute. Einmal kommentieren Orlandos Nachbar, Tennispartnerin, Friseur ihre Verwandlungen, als wären wir im Vorabendprogramm. Während auf der Bühne Tonleute, Kamera, Spiel geräuschlos ineinandergreifen, stecken die Filmbilder voller Brüche und Irritationen.
Jenny König taumelt in der Titelrolle passiv durch ihr wildes, langes Leben, staunt dabei mit weit aufgerissenen Augen in die Kamera, zwinkert uns ironisch zu. Als Kerl rammelt sie sich ebenso genervt durch die Welt, wie sie sich später als Frau die Typen vom Leib zu halten versucht. Das hat durchaus Witz, weil auch Cathlen Gawlich ihren Erzählerinnenton süffisant auflädt und dazu den Longdrink schwenkt. Schade nur, dass die übrigen Figuren eher flüchtig skizzierte Kabarettnummern sind, Männer immer trottelig wirken und in Frauenklamotten lächerlich. So rauscht die Geschichte in knapp zwei Stunden durchaus derb unterhaltsam, aber merkwürdig flach an einem vorbei. Mitchells Anliegen, mit Woolf von Geschlechterungerechtigkeit und Doppelmoral zu erzählen, wird dabei gleich mit weggelacht.