Newsletter: (Un-)Demokratische Perspektiven

Newsletter: (Un-)Demokratische Perspektiven

Newsletter der nachtkritik.de-Redaktion vom 13. Februar 2020: Thüringen +++ Theaterbesucher*innen +++ Schauspielschulen

Liebe Leser*innen,

in der vergangenen Woche hat Thüringen die gesamte Bundesrepublik erschüttert. Dass ein taktischer Zug in einem Landesparlament politische Karrieren beendet und Machtgefüge neu sortiert, kann schon mal vorkommen. Aber wer jetzt noch sagt, er wüsste nicht, worauf man sich bei der AfD einlässt, lügt. Immerhin werden die Fronten jetzt klarer, dürfte jede*r begriffen haben, dass er und sie sich positionieren muss.

Was diese Ministerpräsidentenwahl politisch bedeutet, haben die Unterzeichnenden der Thüringer Erklärung DIE VIELEN schon erkannt, als die meisten Politiker*innen noch lavierten. Bereits am nächsten Morgen protestierten sie in in einem Offenen Brief gegen die Wahl des FDP-Politikers Thomas L. Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Es gehe, so heißt es da, um „die demokratische Perspektive der Bundesrepublik Deutschland“. Stimmt.

Und das Theater? Im MDR antwortet Rudolstadts Intendant Steffen Mensching auf die Frage, wie es weitergeht in Thüringen: „Schaffen es die Kräfte wirklich, in einen Dialog zu kommen, über die Parteigrenzen hinweg oder nicht? Und im Theater, glaube ich, kann man so etwas lernen.“

Wenn man denn hingeht. Eine Studie der Uni Hildesheim hat herausgefunden, dass immerhin 86 Prozent der Bevölkerung weitgehend darin übereinstimmen, dass die öffentliche Förderung von Theatern mit Steuergeldern auch in Zukunft in bisheriger Höhe erfolgen oder sogar noch erhöht werden soll. Allerdings denkt nur ein Drittel der Bevölkerung darüber nach, ins Theater zu gehen, Tendenz abnehmend. Je jünger die Leute, desto weniger. Und nun? Da stellen die Studien-Autor*innen die falschen Fragen, findet Esther Slevogt in ihrer Kolumne.

Apropos junge Leute: Der aktuelle Theaterpodcast von nachtkritik.de und Deutschlandfunk Kultur beschäftigt sich mit Schauspielschulen. Schauspielerin Julia Gräfner sagt: „Das ist wie bei einem Date – es muss passen.“ Auch Franziska Kötz, Milan Peschel und Maryam Zaree finden, dass es auf die richtige Schule ankommt – und dass in Sachen Diversität noch viel Luft nach oben ist.

Volker Spengler ist gestorben, am vergangenen Samstag in Berlin. Mit ihm geht einer, der bei Frank Castorf und René Pollesch, Pina Bausch, Einar Schleef und Peter Palitzsch, Christoph Schlingensief und natürlich in zahlreichen Filmen Rainer Werner Fassbinders die Grenzen auch des politischen Theaters auslotete.

In Lateinamerika übrigens sieht das politische Theater ziemlich anders aus. Oft reicht es über die Arbeit auf der Bühne hinaus (siehe auch das Foto der Woche). Acht Tage lang habe ich mich in Heidelberg beim ¡Adelante!-Festival von der Kraft dieses Theaters überwältigen lassen, das mit sehr unterschiedlichen Mitteln zwischen Dokutheater und Boulevard, magischem Surrealismus und Poesie arbeitet. Die chilenische Produktion Paisajes para no colorear hat sogar das Zeug dazu, die Welt zu verändern. In Zeiten wie diesen – siehe oben – lässt sich da sicher was abgucken.

In diesem Sinne wünscht eine an- und aufregende Theaterwoche

Georg Kasch