Theaterkritik: Das Leben und seine Schönheit

Theaterkritik: Das Leben und seine Schönheit

Effingers – Münchner Kammerspiele – Jan Bosse inszeniert den Jahrhundertroman von Gabriele Tergit als Ensemble-Feuerwerk

Die spanische Grippe also. Da sitzt Julia Gräfner auf einem Stuhl an der Rampe und erzählt als Klara Effinger, wie Fritz krank wird. Fritz, ihr Sohn, heil der Weltkriegshölle entronnen. Stark, voller Leben. Plötzlich Fieber, Lungenentzündung, Tod. Gräfner presst sich die Sätze ab, stemmt sie stakkatohaft hin, als ließen sie sich so besser ertragen. Die Zeit, die an diesem Abend sonst meist so dynamisch voranschreitet, steht still. Dann nimmt Gräfner ihren Stuhl, geht schräg über die Bühne und knallt ihn gegen die Wand.

Es sind schlichte Mittel, mit denen Jan Bosse an den Münchner Kammerspielen Gabriele Tergits Roman „Effingers“ inszeniert. Dennoch wird ein großer Abend daraus. Das liegt zum einen am Stoff: Tergits 1951 gekürzt veröffentlichter Roman, jetzt endlich (und in voller Länge) wiederentdeckt, erzählt die Geschichte einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin zwischen 1878 und 1948.

Da sind die grundverschiedenen Effinger-Brüder Karl und Paul, die in die Bankiersfamilie Oppner-Goldschmidt einheiraten und eine Motorenfirma gründen. Da sind deren Kinder, die den eigenen Wohlstand verachten und mit sozialen Ideen liebäugeln. Da ist der alte Onkel Waldemar, ein Liberaler und Humanist, der zwar weder eine Professur bekommt noch die Liebe seines Lebens, aber immer Rat weiß. Bis die Nazis kommen.

Das Wunderbare an Tergits Roman ist, dass sie auf 900 Seiten mit nur wenigen Strichen und einer neusachlich federnden Sprache Welten erschafft und Charaktere, die man lieben muss. Alle Entwicklungen der Zeit, die technischen, moralischen, geistigen, verhandelt sie durch ihre Figuren, oft in Dialogen, die wie gemacht wirken für die Bühne.

Bosse folgt in seiner – mit Viola Hasselberg erstellten – Fassung der Handlung, streicht Charaktere und Episoden, erhält aber den Geist der Vorlage. So sind die luxuriösen Speisefolgen bei den großen familiären Zusammenkünften auch hier ein Running Gag, der bitter endet, wenn während des Ersten Weltkriegs kaum mehr einfachste Lebensmittel aufzutreiben sind.

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