Theaterkritik: Kaputte Automaten
Mit Recherchestücken über schmutzige Finanzgeschäfte machte der Regisseur Helge Schmidt zuletzt von sich reden. Jetzt steigt er mit Gerhart Hauptmanns Revolutionsstück hinab zu jenen, die keine Geschäfte mehr machen: Den Schmuddelkindern, an denen der große Jahrmarkt immer nur hell erleuchtet vorbeizieht.
Wie viel Vermögen besitzen die reichsten Deutschen? Um das zu zeigen, hat Christina Berger, die eben noch den Hauslehrer Weinhold spielte, ein A4-Blatt mit einer Grafik mitgebracht. Sie zeigt in einer erst länger flachen, anfangs sogar unterhalb der Vermögenslinie verlaufenden (das sind die Schuldner), dann steil ansteigenden Kurve das Eigentum von 95 Prozent der Bundesbürger. Um die restlichen fünf Prozent mit derselben Grafik darzustellen, erklärt Berger, bräuchte man viel mehr Platz. Sehr viel mehr: Das Vermögen der reichsten Deutschen, der Familie Reimann, liegt 6,6 Kilometer über dem Boden.
Es ist der stärkste Moment in Helge Schmidts Schweriner „Die Weber:innen“-Inszenierung, frei nach Gerhart Hauptmanns großem naturalistischen Drama (von 1892) über die Ausbeutung der schlesischen Weber, ihre sich anstauende Wut und Verzweiflung, ihren Auf- und Widerstand 1844. Hier ist alles da: ein prägendes Bild, eine schlüssige Erzählung, Emotionen. Und sogar Ironie: Vincent Heppner, der gerade den machttreuen Pastor Kittelhaus spielt, ätzt von der Seite „Fremdtextfoul!“. Recht hat er. Denn die Fremdtexte – schon vorher etwa hatte Weinhold seinem Zögling, einem Sohn des Fabrikanten Dreißiger, aus dem „Atlas der Versklavung“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgetragen – sind kraftvoll, verständlich, eindringlich. So, wie man das von Schmidt gewohnt ist, etwa von seinen äußerst unterhaltsamen und zugleich hochinformativen Abenden zum Cum-Ex-Skandal.
Wenn aber Hauptmann zu Wort kommt (und er kommt oft zu Wort), will der Funke nicht recht überspringen. Anika Marquardt hat auf die Bühne des Schweriner E-Werks drei jener Greifautomaten gestellt, wie man sie auf Jahrmärkten findet. Hier angeln die Menschen nicht nach Kuscheltieren, sondern nach denselben kaum zu packenden Fetzen, die den gesamten Boden bedecken. Ein Glücksversprechen, von dem nicht viel geblieben ist. Auf, um und an den Kästen hocken die krummen Menschlein, pickern und klackern mit Metallstückchen den Rhythmus der Webmaschinen wie der Duracell-Hase, der einmal sein Stakkato-Lied der Industrialisierung trommelt, und kommen nicht vom Fleck.