Opernkritik: Beeindruckend altmodisch
Opernregiedebüt der Filmemacherin Angelina Nikonova: Lady Macbeth von Mzensk in Hamburg. Ein weiteres Debüt gab Camilla Nylund in der Titelrolle.
Wenn es stürmt, regnet, schneit, während auf der Bühne die Leidenschaften kochen, dann hat das meistens was zu bedeuten. Eben noch strahlte der Himmel blau. Jetzt rasen auf der Videoleinwand hinten Wolken heran, ballen sich dunkel. Blitze zucken. Gleich geht das Gewitter los. Und zwar in dem Moment, als die Polizei Katerinas Hochzeit sprengt und sie wegen Mordverdacht festnimmt.
Wie die Natur zum Seelenspiegel wird in Angelina Nikonovas „Lady Macbeth von Mzensk“-Inszenierung an der Staatsoper Hamburg, ist so altmodisch wie eindrucksvoll. Vor allem verneigt sich Nikonova damit vor William Shakespeare, der in seinen Dramen regelmäßig Wetterphänomene und durcheinandergebrachte gesellschaftliche Ordnungen kurzschloss. Schon Nikolai Leskow spielte auf Shakespeare an, als er seine Erzählung über die männermordende Katerina „Lady Macbeth von Mzensk“ nannte, aus der Dmitri Schostakowitsch und sein Librettist Alexander Preis eine Oper machten. Sie erzählen von einer Frau, die mit dem sexuell an ihr offensichtlich nicht interessierten Bauern Sinowij verheiratet ist und von ihrem brutalen Schwiegervater Boris gegängelt wird. Trost findet sie in den Armen des Arbeiters Sergej. Als sie entdeckt werden, müssen Schwiegervater und Mann dran glauben. Die Morde fliegen auf, Katerina und Sergej gehen ins Straflager, wo Sergej sich eine neue Geliebte sucht.
Die Geschichte spielt auf dem Land, wo die Sitten rau sind und das Patriarchat ziemlich uneingeschränkt herrscht. In ihrem Opernregiedebüt verlegt Filmemacherin Nikonova die Handlung ins Russland heute: Kaufmann Boris (der vielleicht auch ein kleinerer Oligarch sein könnte, bei den Personalmassen und der Größe des Tresors) herrscht über ein geschmacklos rustikales Reich, das Ausstatterin Varvara Timofeeva mit etlichen Überwachungskameras ausgerüstet hat. Boris‘ Reichtum beruht offenbar auf Sauerkraut, das unter dem Wohnhaus lagert und von hineinprojizierten Ratten umwimmelt wird. Kraut füllt auch das mannshohe Glas, in das die Arbeiter aus Jux, Langeweile, Brutalität hier die Köchin stecken (eigentlich eine Vergewaltigungsszene), bis Katerina sie befreit.
Nichts deutet explizit auf Putins Russland hin, und doch liest man das heute natürlich mit: die jederzeit aufbrechende Gewalt, die Korruption der Polizei, das Auftrumpfen der Privilegierten und das Kuschen der Menge. Nur löst sich in der harmlosen Figurenführung nicht ein, was das realistische Bühnenbild mit seinen filmischen Elementen verspricht. Der Chor, der vokal die Masse mit durchaus individuellen Zügen versieht und im Arbeitslager düster funkelnde Klangteppiche nahe am Gebet auslegt, wird als Ansammlung von Individuen selten plastisch.
Aber auch die Solistinnen und Solisten wirken oft wie gebremst, gerade im Kontrast zur Musik, die die brutale Männergesellschaft voll Willkür und Denunziantentum eindrücklich zeichnet: Mal hetzen Blechakkorde leer und hohl die Ordnungshüter auf das Brautpaar, mal wird der alte Boris karikiert, wenn er von seiner Jugend singt und dazu ein Walzer durchs Orchester spukt. Kent Nagano verführt sein Philharmonisches Staatsorchester selbst in der Kakophonie noch zu äußerster Klarheit. Man hört es mit jedem Ton, jeder Phrase: Oboe und Klarinette, die Katerina zugeordnet sind, singen und klagen in vollendet schmerzlicher Schönheit, während es in den Parodien deftig rumpelt, ohne das je die Durchsichtigkeit verloren ginge.
Dass diese musikalischen wie szenischen Parodien der sowjetischen Gegenwart galten, entging den kommunistischen Machthabern nicht: Zwei Jahre nach der Uraufführung 1934 besuchte Stalin die Erfolgsoper, danach erschien ein Totalverriss. Das Werk verschwand von den Spielplänen und in der Versenkung, bis der Komponist es 1963 entschärfte. Gut möglich, dass es ihm, würde es heute in Petersburg neu herauskommen, ebenso erginge.
Seit einigen Jahrzehnten wird wieder die Originalfassung gespielt, wie schon bei der Hamburger Erstaufführung 1990, die Schostakowitschs Sohn Maxim dirigierte. Es wäre auch jammerschade um den – neben Ravels „Bolero“ – berühmtesten Orgasmus der Musikgeschichte, den Schostakowitsch in der revidierten Fassung gestrichen hatte: Wenn das Glissando am Ende selbst das Erschlaffen des Glieds auspinselt, sorgt das auch in Hamburg für Lacher. Dass Nikonova dazu – statt einfach das Licht zu löschen – über die Liebenden Filmcollagen von musizierenden Musikern blendet, wirkt ebenso entbehrlich wie die übrigen Videos jenseits der Naturmetaphern.
Immerhin macht die Regisseurin von Anfang an klar, dass für Katerina nichts zu holen ist. Ihr Mann Sinowij schleppt sich bei Vincent Wolfsteiner ungelenk über die Bühne, steckt aber voll unterdrückter Aggressivität, die sich in tenoraler Härte äußert. Offen trägt Katerinas Schwiegervater Boris seine Macht vor sich her, ein schmieriger, jähzorniger Tyrann. Alexander Roslavets warm strömender Bass kann dabei jederzeit an Schärfe zulegen. Nur ist Sergej kein Ausweg, das begreift man früh: Wenn er das erste Mal über Katerina herfällt, zieht er nicht mal Stiefel und Hose aus. Bei Dmitry Golovnin ist Sergej kein Schönling, kein Märchenprinz, sondern offenbar der erste Mann, der sich überhaupt für sie interessiert und dessen dunkel-timbrierte Stimme zwischen Gier, Sarkasmus und – ja, auch Zärtlichkeit pendelt.
Camilla Nylund, diese nobel gleißende Kaiserin, diese strahlende Leonore und berückende Marschallin, wirkt in ihrem Rollendebüt als Katerina Ismailova anfangs gehemmt, wie hypnotisiert von den nicht zuletzt rhythmischen Herausforderungen dieser Partie. Vermutlich weiß sie auch um die Gefahr, sich die Stimme zu ruinieren, wenn man die Zügel zu locker lässt. Und doch kommt ihr reines Timbre immer dann der Figur am Nächsten, wenn sich Sedimente hineinmischen, es schmirgelt und knirscht. Völlig verschmilzt sie erst mit Katerina, als im vierten Akt die leisen, verhaltenen Töne dominieren, die Vorahnung, die Klage. Auch optisch legt sie hier den Panzer – also Hosen und Stiefel – ab, kämpft schutzlos, gedemütigt um einen Rest an Würde.
Unmöglich, sich das Leid dieser Frau nun noch vom Leib zu halten. So wie man sich zuvor der Wucht von Schostakowitsch Musik nicht entziehen konnte, die sich beständig wandelt zwischen Kommentar und Einfühlung, Illustration und sinfonischer Vertiefung, eine Musik, die höchst lebendig glüht. Und damit in jedem Takt mehr Menschlichkeit besitzt als die Gesellschaft, von der sie erzählt.