Theaterkritik: Wahnsinn ohne Methode

Theaterkritik: Wahnsinn ohne Methode

Fabian Hinrichs inszeniert Byrons “ Sardanapal“ an der Volksbühne. Der Abend strandet im Chaos

Feenwesen flattern über die Bühne, eine Tanztruppe wirbelt mit gezückten Schwertern herum, zeigt Muskeln und streng koordinierte Aggression. Am Ende lodern um das zentrale Paar die Flammen auf, stürzt es sich gar in den Abgrund, wie man es heute sonst nur noch in Inszenierungen der Oper „Tosca“ sieht. Und man weiß nicht so recht: Soll man jetzt staunen darüber, dass hier jemand Opas Theater wiederentdeckt? Oder verzweifelt sein, weil dieser Abend oft vor Dilettantismus quietscht?

Aber von vorn: Fabian Hinrichs, begnadeter René-Pollesch-Spieler und Tatort-Kommissar, macht sich seit Jahren für ein Drama des englischen Romantikers Lord Byron stark. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schwärmte er 2019 von „Sardanapal“ über einen assyrischen König, der nicht mit harter Hand regieren, sondern lieben, singen, genießen, träumen will. Allerdings hat er Feinde, und als er das begreift und doch noch kämpft, kommt das zu spät. Am Ende zündet er sich und seine Geliebte auf dem Thron an.

Man ahnt beim Lesen, was Hinrichs am Stoff fasziniert: Sardanapal wird bei Byron zum Aussteiger und Utopisten, einem Philosophen des Glücks und des Genusses, der von seiner kleinlichen Umwelt nicht verstanden und deshalb abgeräumt wird. „Ich stelle mir langes, schier endloses Bankettieren vor, erfüllt von Wellen aus Gelächter und Gespräch und Schweigen und Nachdenken, Schlaf, Stille, Betrachten des Nachthimmels, uferlose Fecht- und Kampfszenen, die sich umformen zu Tanz- und Gesangspassagen“, schrieb Hinrichs. Schade nur, dass man jetzt an der Volksbühne davon so wenig sieht. Die erste von zwei Stunden füllt Hinrichs nämlich in einer Supermarktkulisse mit allem Möglichen, was irgendwie die Kunst als Erlösungsreligion sowohl feiern als auch ironisieren kann: Musik zwischen Schubert, Chopin und Barry Whites „Let The Music Play“, eine Rewe-Szene mit Ekstase-träumender Kassiererin; dazwischen tanzt Hinrichs wie ein Politiker auf einer Wahlparty nachts um halb 3.

Man kann sich das Warum schon irgendwie zusammenreimen. Nur: Warum gräbt man ein längst vergessenes Stück aus und kämpft für es, nur um es dann in einer Schrumpfversion der Lächerlichkeit preiszugeben? Denn auch, als die Geschichte um Sardanapal endlich in Gang kommt, findet sie keinen Rhythmus, sondern nur Deklamations-Fragmente zwischen verschwenderischen Bildern: Samtvorhänge türmen sich zu einer Höhle, der Rundhorizont wird von einem Gemäldefragment dominiert, dann seilt sich eine Luftakrobatin am Tuch ab und spricht weihevoll einen Byron-Text. Doch auch diese Bilder verpuffen zu schnell im Chaos, weil der Abend an allen Ecken und Enden klappert.

Erschwerend kommt hinzu, dass Benny Claessens kurz vor der Premiere ausstieg. 2018 hatte Hinrichs Claessens den Alfred-Kerr-Darstellerpreis verliehen und in seiner Laudatio das gesamte Gegenwartstheater verdammt, feierte einzig Claessens als Lichtblick. Offensichtlich ist es nun aber mit der Freundschaft vorbei. Zwar verkündet Dramaturgin Anna Heesen vor Premierenbeginn, ihm gehe es nicht gut. Aber der Verdacht liegt doch nahe, dass ihm die Sache einfach zu peinlich war. Zumal es eine wirklich schlimme Stelle gibt, in der Claessens offenbar seinen Körper hassen und sich den des schmalen Lord Byron herbeisehnen sollte. Puh!

Jedenfalls übernimmt Hinrichs nun auch die Parts von Claessens. Man versteht, dass die Volksbühne die Premiere nicht platzen lassen wollte bei all den Beteiligten. Und Hinrichs verfügt über eine bewundernswerte Energie. In Pollesch-Produktionen hat er schon öfter bewiesen, dass er riesige Säle wie die Volksbühne oder den Friedrichstadtpalast alleine füllen kann.

Allerdings nicht in eigener Regie, mit Textbuch in der Hand. Und Lilith Stangenberg, eine der herausragendsten Spielerinnen der späten Castorf-Jahre, wirkt hier so hilflos, dass ihre sonst so rührenden Deklamationsgesten an Schmierentheater erinnern. Es tut einem auch leid für die Mitglieder des Jugendsinfonieorchesters Berlin am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium, die hier erst Chopin, dann Philip Glass und Abba zum Soundtrack verweben. Und für die vielen Tänzerinnen und Tänzer, die das Zeug hätten, das Haus allein zu rocken (zumal in weniger gruseligen Kostümen als diesen Neonfetzen).

So wirkt dieser Abend oft wie der ausgestreckte Mittelfinger, manchmal wie ein künstlerischer Jugendwettbewerb, dann wieder, wenn sich die Pannen häufen, wie „Der nackte Wahnsinn“, dritter Akt. Einmal ruft der Bühnenarbeiter laut rein, dass die Plattform mit der Kasse gedreht werden müsse, um durch die Tür zu passen. Dann wieder rumpeln die Musiker so lange in der Versenkung des Orchestergrabens, dass Hinrichs von oben runterruft: „Kein Stress!“ Das entspricht zwar der Rolle des Sardanapal. Der Pathosmoment ist trotzdem futsch.

Aber da ist das Kind längst in den Brunnen gefallen. Ob Byrons „Sardanapal“ als Stück wirklich taugt, muss an anderer Stelle erprobt werden. Die Volksbühne bleibt eine Problemzone.