Opernkritik: Mitten im Machtzentrum
In Verdis „Don Carlos“ an der Genfer Oper zeigt Lydia Steier die Uberwachungs- und Mordmaschinerie eines Spitzelstaats. Trotz krasser Mittel wirkt ihre Inszneierung aber keineswegs platt.
Was gilt ein Menschenleben im totalitären System? Nichts. Schon in der ersten Szene von Giuseppe Verdis „Don Carlos“ am Grand Théâtre de Genève wird ein Mensch gehenkt, ziemlich realistisch mit Seil, Schlinge und einem noch eine Weile zappelnden Körper. Ein Fanal, dem viele Tote folgen werden.
Aber warum? Friedrich Schiller erzählte 1787 in seinem Drama davon, dass hinter jedem Mächtigen noch eine weitere Macht steht. Philipp II. herrscht zwar mit harter Hand über Spanien und Flandern (wo er die protestantischen Bestrebungen niederschlagen lässt), auch über Frau Elisabeth und Sohn Carlos. Aber er selbst ist nur Spielstein der Inquisition. Ein innerstes Zentrum der Macht, das leer ist, so legt es Lydia Steier in der finalen Szene ihrer Inszenierung nahe. Da hat sich die Gewalt, die Überwachungs- und Mordmaschinerie längst verselbstständigt, ist nicht mehr zu stoppen.