Kolumne: No more Sternenstaub (Donna)
René Pollesch hat das Theater auf mehr als eine Weise für immer verändert – auch, indem er der „weißen männlichen Hete“ die Deutungshoheit entzog. Unser Kolumnist erinnert sich an eine Inszenierung, mit der das Theater, wie er es bis dahin kannte, schlagartig vorbei war.
Der für mich prägende Pollesch-Abend war Ping Pong d’Amour an den Münchner Kammerspielen 2009. Die Prater-Jahre hatte ich vollkommen verpasst, überhaupt den ganzen, unter Theaterwissenschaftsstudierenden ewig befeuerten Volksbühnen-Hype.
Plötzlich aber saß ich arm im reichen München und erlebte eine Screwballkomödie überm Abgrund. Wenn Katja Bürkle am „Rand der Darstellbarkeit“ fast über die Rampe fiel, dann begegnete ich da zum ersten Mal René Polleschs Repräsentationskritik, deren schlagendste Bildwerdung 2011 in Schmeiß dein Ego weg die Vierte Wand und deren lustigste 2021 die echte „authentische Kuh“ war, die in J’accuse selbst Sophie Rois an die Wand spielte.
Dass 2009 zu meiner verspäteten Pollesch-Erweckung wurde, hatte auch etwas mit der Form zu tun: In München ließ sich nicht übersehen, dass es sich bei Polleschs Theater auch um queeres Theater handelte. Aber was genau heißt das? Schließlich taucht der Begriff – wenn ich das richtig überblicke – im Pollesch-Kosmos nicht auf; sich selbst hat Pollesch als schwul bezeichnet. Dafür umso häufiger der Begriff der Heteronormativität, die Matrix, die alle Fiktion, alles Vorspielen prägt, alles Vormachen, den anderen und sich selbst. Weil es den traditionellen Theaterformen um Lesbarkeit geht, die durch die Sprache des weißen, heterosexuellen, mittelständischen, westlichen Mannes und dessen Norm(alität) geprägt wird. „Die weiße männliche Hete“ (O-Ton Pollesch) hatte immer das erste Wort. Bis Pollesch kam.