Opernkritik: Zerfressen von Rost und Staub

Opernkritik: Zerfressen von Rost und Staub

Was macht man mit einer der größten, aber auch statischsten Opern über die Macht der Liebe? Bei den Bayreuther Festspielen erzählt Thorleifur Örn Arnarsson Richard Wagners „Tristan und Isolde“ als Lebensreise zweier Regelbrecher.

Was ist das für ein seeuntaugliches Schiff? An Deck hängen nur ein paar Taue im Bodennebel. Gelangt man aber durch ein Loch in den Bauch des Dampfers aus rostzernagten Spanten (Wagner war Zeitgenosse der industriellen Revolution), türmen sich die Hinterlassenschaften menschlicher Kultur: antike Statuen und Friese, ein Globus, ausgestopfte Tiere, Architekturfragmente, Wasser- und Zahnräder…

Ist das das Schiff, mit dem Tristan Isolde aus Irland nach Cornwall bringt, damit sie dort König Marke heiratet? Oder das Schiff des Lebens (darauf deutet ein Caspar-David-Friedrich-Gemälde hin), dessen Zeit sich deutlich seinem Ende neigt? Der Verfallsprozess kulminiert im dritten Akt: Da lässt Bühnenbildner Vytautas Narbutas nur noch Einzelteile des Wracks stehen und häuft die Artefakte zu einer kleinen Insel inmitten der Trümmer, auf der Tristan auf den Tod wartet.

In diesem Rost-Setting erzählt Thorleifur Örn Arnarsson eine der größten Liebesgeschichten der Menschheit. Richard Wagners „Tristan und Isolde“, 1859 vollendet, 1865 uraufgeführt, stieß das Tor zur Moderne auf. Literarisch, weil hier zwei Menschen eine Seelenerforschung und -zergliederung betrieben, wie sie bald stilbildend für große Teile der Dramatik wurden. Musikalisch, weil Wagners Harmonik das Portal zur nicht mehr tonal gebundenen Musik und damit zur Avantgarde öffnete.

Weiterlesen…