Essay: „Sieh uns jetzt an“
Ableistische Narrative in Literatur, Film und auf der Bühne
Wer schon mal auf Sicht gefahren ist, im Nebel gestochert hat oder blind vor Hass und Neid war, ist bereits mit Ableismus in Kontakt gekommen. Unter Ableismus versteht man die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Das kann eine Reduktion von Menschen auf ihre Behinderung sein – oder ihre Nichtbeachtung. Ableismus kann sich auch in Abwertung und Ausgrenzung zeigen oder in übermäßiger, übergriffiger Fürsorge.
Oder darin, die (körperlichen und geistigen) Normen, an denen sich unsere Gesellschaft mehrheitlich orientiert, zu idealisieren. Eine „Fähigkeitsideologie“, wie es die Performerin Jana Zöll nennt. Denn die oben genannten alltagssprachlichen Bilder setzen den eingeschränkten Sehsinn oder Blindheit mit dem Unvermögen gleich, eine Tatsache zur Kenntnis zu nehmen oder zu begreifen. Damit wird gleich zweierlei abgewertet: das nicht-normative Funktionieren der Sinne und das nicht-normative Funktionieren des Denkens.
Ableismus ist tief in unserer Sprache verwurzelt. Dass aus dem neutralen Begriff Behinderung beziehungsweise behindert – einst eingeführt, um wesentlich negativere Wörter abzulösen – mittlerweile selbst ein Schulhofschimpfwort geworden ist, zeigt, dass nicht die Begriffe das Problem sind. Sondern das, was wir als Gesellschaft aus ihnen machen. Denn während die Behindertenrechtsbewegung seit vielen Jahren vehement dafür kämpft, dass sich das soziale Modell der Behinderung allgemein durchsetzt – also das Menschen mit Behinderung nicht behindert sind, sondern von der Gesellschaft durch bauliche Barrieren und Barrieren in den Köpfen behindert werden –, hält sich in der allgemeinen Wahrnehmung erstaunlich hartnäckig das medizinische Modell der Behinderung, demzufolge ein behinderter Mensch mangelhaft ist.