Opernkritik: Darauf ein Gläschen Christel Mett
Die Entführung aus dem Serail – In der Deutschen Oper Berlin zeigt Rodrigo García Mozart und seinen Fans den Stinkefinger
Die größte Provokation hebt sich Rodrigo García bei dieser Premiere bis zum Schluss auf: Er erscheint nicht zum Applaus. So wie sein ganzes Team. Natürlich versuchen es jetzt noch einige im Publikum mit ihren wütenden Buhs, aber das verpufft. Das Parkett bleibt unerlöst, auch wenn sich der ein oder die andere in Zimmerlautstärke Luft zu schaffen versucht: „Das feige Schwein, traut sich nicht raus.“
Da ist er wieder, der gereckte Mittelfinger, der diesen Abend an der Deutschen Oper Berlin von Anfang an beherrscht. García gibt sein Operndebüt mit „Die Entführung aus dem Serail“, Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel im musikalischen Format einer veritablen Oper. Hier verschmelzen die Tugenden des Barock mit den Ideen der Aufklärung, aufgeputzt in der damals äußerst schicken Orient-Mode: Der Engländer Belmonte will seine Geliebte Konstanze aus der Macht des Bassa Selim befreien. Die Flucht scheitert. Doch Selim gibt in einem großen Gnadenakt die Gefangenen frei, obwohl Belmont der Sohn seines Erzfeindes ist: „Wen man durch Wohltun nicht für sich gewinnen kann, den soll man sich vom Halse schaffen.“
Natürlich ist diese ganze Orient-Okzident-Geschichte problematisch, natürlich sind die Helden nicht ganz so treu und beständig, wie sie behaupten, natürlich besitzt der Gnadenakt den Gestus des absolutistischen Herrschers, ist ein genretypisches Happy End, also noch angreifbarer als das Finale von Lessings „Nathan der Weise“. Dass man damit produktiv umgehen kann, zeigen Inszenierungen wie die von Christof Loy 2003 in Frankfurt und die von Stefan Herheim im selben Jahr in Salzburg; 2004 demonstrierte Calixto Bieito an der Komischen Oper Berlin, welche brutale Kraft in Text und Musik steckt.