Interview: „Schauspiel ist schwerer als Oper“
Karan Armstrong und René Kollo spielen zwei Musiker mit Ego, die sich im Altersheim neu arrangieren müssen
Sie gehören zu den berühmtesten Sängern ihrer Generation: Karan Armstrong und René Kollo haben bei den Bayreuther Festspielen, an der Deutschen Oper und an zahllosen anderen Häusern weltweit Operngeschichte geschrieben. Jetzt stehen sie gemeinsam mit ihren Sänger-Kollegen Ute Walther und Victor von Halem im Renaissance Theater auf der Bühne – in einem Sprechstück: „Quartetto“ handelt von vier Opernsängern, die sich in einem Altersheim für Musiker trotz ihrer Künstleregos zusammenraufen müssen. Premiere ist am Mittwoch. Ein Gespräch über das Aufhören, Schauspiel-Herausforderungen und Maria Callas.
Miss Armstrong, Herr Kollo, in „Quartetto“ spielen Sie Sänger, die ihre Karriere hinter sich haben und damit umgehen müssen. Ist das ein Testlauf für die Zukunft?
Karan Armstrong: Nein. Aber es ist eine Herausforderung. Schließlich habe ich nie ein Schauspielstudium absolviert.
René Kollo: Das spielt für mich keine Rolle. Für mich ist das auch kein Fachwechsel. Ich habe ja in Berlin eine Schauspielausbildung gemacht und bin dadurch erst zum Singen gekommen. Ich hab hier in Berlin über 80 Mal den Jedermann gespielt, auch andere Rollen. Dazwischen waren über 40 Jahre Oper. Jetzt, nach 68 Jahren Bühnenerfahrung, geht es wieder ein bisschen ins Schauspiel.
Karan Armstrong: Schauspiel ist viel schwerer als Oper. In der Oper stecken die Emotionen in der Musik. Hier muss man die Gefühle in jeder Sekunde neu finden. Auch die Wörter: Die wechseln, da wird geschnitten oder eine bessere Wendung gefunden. Bei der Oper gibt’s die Partitur, die ist unantastbar: Du lernst das einmal und das bleibt so.
Die Frage, die ja auch das Stück stellt, ist: Wie altert man? Und wie hört man auf?
René Kollo: Man kann nicht aufhören. Seit 68 Jahren stehe ich auf der Bühne, davon 40 Jahre Oper, da kann man sich nicht einfach zu Hause hinsetzen und Däumchen drehen. Ich singe noch um die 40 Konzerte im Jahr und bereite gerade meine Abschiedstournee vor. Am 20. November beginnen wir sie im Schlossparktheater, da feiere ich in mein 80. Jahr. Man muss was tun – solange, bis man tot umfällt.
Sie waren beide über Jahrzehnte der Deutschen Oper verbunden. Das Haus hat sich sehr verändert.
René Kollo: Ich gehe da nicht mehr rein, ich bin ja kein Masochist. Ich war manchmal in den Generalproben und habe mich an die Seite gesetzt, da konnte ich schnell wieder raus. Aber wenn ich in eine Vorstellung gehe, ist das kaum möglich. Soweit kennen mich die Leute noch …
Karan Armstrong:… sie stellen viele Fragen …
René Kollo: … aber nach zehn Minuten kriege ich schon einen Tobsuchtsanfall, weil vieles falsch ist, jetzt gar nicht mal nur von der Regie her, sondern auch beim Singen und allem möglichen. Es hat einfach keine Qualität mehr. Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, um Gottes willen! Es kommen auch immer wieder Momente, die sehr schön sind. Aber meiner Meinung nach werden die Sänger vollkommen falsch ausgebildet.
Karan Armstrong: Es ist einfach nicht mehr, was es mal war.
Fällt es schwer, da loszulassen? Oder sagen Sie sich: Das ist nicht mehr meins, jetzt sind andere dran?
Karan Armstrong: Für mich ist es auch schwer reinzugehen, auch wenn ich noch die Larina in „Eugen Onegin“ singe. Aber ich denke, man muss das machen, um zu sehen, wie die junge Generation heute denkt und singt. Ich habe die Götz-Friedrich-Stiftung für junge Regisseure und ich lehre in der Lotte-Lehmann-Akademie, also gehe ich rein, das ist meine Pflicht. Von Zeit zu Zeit gibt’s auch wunderbare starke Momente. Ich habe all die Jahre profitiert von der Zusammenarbeit in den Theatern und von Götz Friedrich natürlich als meinem Ehemann und Regisseur. Nun ist es an der Zeit, etwas davon zurückzugeben. Ich komme ja viel rum. Wenn ich da eine junge Sängerin höre mit großem Talent, dann unterstütze ich sie, rufe Opernhäuser an und schicke sie auf meine Kosten hin. Es ist nur schwer, wenn eine Inszenierung ganz schlimm ist und die Leute, die mich kennen, dann zu mir kommen und fragen: Was würde Ihr Mann denken? Oder: Was denken Sie?
Wie reagieren Sie dann?
Karan Armstrong: Dann sage ich „Oh, hoch interessant“ und verschwinde. Man kann da nicht einfach seine Meinung sagen, weil man nicht weiß, ob alle auf der Bühne in guter Verfassung waren. Vielleicht war die Inszenierung auch nicht das, was der Regisseur eigentlich wollte. Deshalb versuche ich immer die Premiere zu sehen und die letzten zwei Vorstellungen. Dann kann man wirklich sehen, was die Regie-Absicht war.
René Kollo: Man hat ja auch eigene Vorstellungen. Ich habe selbst fünf Regien gemacht und eine sehr epische Vorstellung von Theater. Man muss mir im Theater nicht alles intellektuell erklären wollen. Als Zuschauer will ich die Musik sehen und alles, was damit zusammenhängt. Man kann Musik ja auch optisch machen.
Karan Armstrong: Das sieht man heute kaum noch.
René Kollo: Ich mag dieses intellektuelle Gefussel-Theater nicht. Aber das ist heute so. Wo soll ich dann reingehen? Wenn Sie mal Giorgio Strehler gesehen haben, Rudolf Noelte, Wieland Wagner, das war unglaublich.
Herr Kollo, geben Sie Ihr Wissen weiter?
René Kollo: Ich hab früher unterrichtet und den Fehler gemacht, dass ich nie was genommen hab dafür. Weil ich mir gesagt habe: Entweder es macht mir Spaß oder ich lass es. Die Schüler sind fünf, sechs Mal gekommen, dann weggeblieben und haben sich nie wieder gemeldet. Wahrscheinlich weil sie sich gedacht haben: Wenn der nicht teuer ist, dann taugt er nichts. Schon die Callas hat gesagt und war darüber sehr erbost und traurig: „Es kommt keiner, mich will keiner.“ Das stimmt.
Karan Armstrong: Ja, aber wenn man mit ihr an einem Tag geredet hat, an dem sie nicht depressiv war, klang das ganz anders, da war sie voller Enthusiasmus, etwas mit jungen Leuten zu machen. In New York war sie immer depressiv, aber wenn sie in Kalifornien war, hat sie bei Freunden von mir gelebt, und da war sie ein anderer Mensch.
Wenn Sie jetzt gemeinsam mit den Deutsche-Oper-Kollegen von damals auf der Bühne stehen, gibt es da manchmal den „Ach, weißt Du noch“-Moment?
Karan Armstrong: Ich muss Gilda singen, da denke ich oft: Früher war es viel leichter. Ich bin zwar noch nicht 80, aber ich stehe auch schon seit 70 Jahren auf der Bühne. Man merkt schon, was man früher alles konnte und was heute nicht mehr geht, physisch, stimmlich, auch im Gehirn. Unabhängig davon, was ich möchte. Von Zeit zu Zeit ist das natürlich deprimierend. Aber ich bin jemand, der positiv denkt, das hilft über diese Berge. Das ist auch der Grund, warum meine Rolle der Cecily so interessant ist: Weil sie immer nach vorne schaut und alle anderen dazu drängt, am Ball zu bleiben.
René Kollo: Ich bin überhaupt kein Mensch, der zurückguckt. Morgen weiß ich schon nicht mehr, dass ich hier war. Das interessiert mich nicht, ich kann’s nicht mehr ändern. Ich schaue, was übermorgen ist. Und dann versuche ich, das aus der Erfahrung heraus besser zu machen.