Theaterkritik: Wollen Sie sich das nicht noch mal überlegen?
Professor Bernhardi – Thomas Ostermeier inszeniert Arthur Schnitzlers „Volksfeind“-Variante als unterkühlt-elegantes Well-made-Play
Professor Bernhardi denkt. Auch wenn die Kamera sein Gesicht vielfach vergrößert auf die weiße Bühnenrückwand wirft, ist kaum wahrnehmbar, wie es in Jörg Hartmanns Gesicht arbeitet. Ein leichter Schatten hier, ein minimales Kopfschütteln da, mehr innere Anspannung als Mimik. Es ist faszinierend, dem zuzusehen. Weil da einer – bei allen Ironieregistern zwischen trocken, beißend, leise, bitter – kombiniert, begreift, seine Schlüsse zieht.
Zu begreifen hat Bernhardi viel in Arthur Schnitzlers Stück, das in Wien spielt, aber 1912 – der Zensur wegen – in Berlin uraufgeführt wurde. Denn der Arzt versteht erst allmählich, wie politisch instrumentierbar sein Handeln ist, als er den herbeigeeilten Priester davon abhält, einer Patientin das Sterbesakrament zu erteilen, weil sie in ihrer finalen Euphorie nicht weiß, dass sie sterben wird und er ihr den Schrecken ersparen will. Plötzlich bröckeln die Fassaden, verflüchtigen sich die Freundschaften, wird Bernhardi Opfer einer politischen Kampagne. Und hinter allem grinst breit die Fratze des Antisemitismus.
Wobei man hier für Antisemitismus auch alles andere einsetzen könnte, was in die drei Sternchen von „Ich habe ja nichts gegen ***, aber …“ passt. Aus dem leicht verstaubten, etwas verquatschten Kitteldrama mit merkwürdigem Komödienschluss macht Thomas Ostermeier – zusammen mit Florian Borchmeyer – ein Well-made-Play mit natürlichem Geschäfts- und Plauderton, mit schwingenden Türen zum nächsten Korridor und einer kleineren zum Krankenzimmer, die alle immer ganz behutsam schließen, während sie sich vorher noch fix die Hände am Desinfektionsspender reinigen.
Zwar gibt das unterkühlt-elegante Ambiente, das die Schauspieler auf Jan Pappelbaums weißen, flachen Kasten fahren und wieder verschwinden lassen, wenige Hinweise darauf, wann genau diese Geschichte spielt. Wie die Schauspieler aber agieren, welche Worte sie benutzen, macht sie dann doch sehr heutig. Da spricht etwa der liberale Pflugfelder von „rechtspopulistischen und völkischen“ Kräften und Cyprian hofft, dass die Populisten bei den nächsten Wahlen vielleicht schon wieder verschwunden sind.