Vorbericht: Die Entdeckung des Vorurteils

Vorbericht: Die Entdeckung des Vorurteils

Das Dresdner Hygiene-Museum setzt sich mit der Entstehung von Rassismus auseinander. Das scheint 2018 noch immer nötig.

Die Ausstellungsmacher haben es mit einem ironischen Augenzwinkern versucht. Gleich hinter dem Eingang wird ein Koffer mit allerlei Gerät und Instrumenten stehen, Fläschchen und Tinkturen. Er wurde irgendwann zwischen 1918 und 1939 von einem belgischen Geisterjäger benutzt, etwa um „Besessenheit“ zu kurieren. Etliche dieser Messinstrumente, das Talkpuder zum Spurennachweis und Totenmasken dienten bereits im 19. Jahrhundert dazu, „Rassen“ zu bestimmen.

Systematik, Anschauung und Beweise: Alles macht den Anschein, als handele es sich hier um Wissenschaft. Ein Irrtum.

Im Netz tobt dennoch der Kampf. Als Ende Dezember öffentlich wurde, dass das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden für 2018 eine Sonderausstellung mit dem Titel „Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen“ plant, ging in den Diskussions­foren die Hetze los. „Wusste gar nicht, dass das Hygienemuseum so religiös ist, primär Glaubenstheorien zu behandeln“, ätzte ein User auf mdr.de. Ein anderer wurde deutlicher: „Was ist ­eigentlich mit dem Rassismus, mit dem manche einem ganzen Volk sein Recht absprechen, auch weiterhin ein eigenes Volk zu sein?“ Ein dritter bemühte Pathos: „Ich und die meinen versprechen hiermit, das Hygienemuseum NICHT eher zu besuchen, als bis wieder Wissenschaft von Politik getrennt wird.“

Was war geschehen? Museumschef Klaus Vogel wird mit den Worten zitiert, Ziel der Ausstellung sei „klarzumachen, dass es natürlich Unterschiede zwischen den Menschen gibt, aber es gibt keine Menschenrassen und schon gar nicht Hierarchien ­unter den Menschen“. Im Jahr 2018 herrscht da unter seriösen Wissenschaftlern Konsens.

Denn die pseudowissenschaftlichen Analogieschlüsse aus der Biologie, die soziale Ungleichheit seit der Aufklärung rechtfertigen, haben sich als unhaltbar erwiesen. Weder genetische Unterschiede noch ausgeprägte Körpermerkmale wie etwa die Hautfarbe rechtfertigen menschliche Kategorien. Deshalb ächtete schon 1995 eine UNESCO-Deklaration den „Rasse“-Begriff sowie jede biologische und soziologische Ableitung rasseähnlicher Kategorien.

Offensichtlich muss das aber noch vermittelt werden. Das Deutsche Hygiene-Museum geht das Thema jetzt in vier ­Abteilungen und zwei Publikationen an. Wenn am 19. Mai die von Stararchitekt Francis Kéré entworfenen Räume öffnen, führen sie von der menschlichen Vielfalt und der Rassenkonstruktion über die Rassenpolitik der Nationalsozialisten und die Rolle des Museums dabei hin zur kolonialen Gewaltherrschaft. Dabei sollen in jedem Raum Bezüge zur Gegenwart sichtbar werden.

Während gleich mehrere Netz-Kommentatoren fanden, dass das Thema nicht ins Hygiene-Museum passe, ist das Gegenteil der Fall. Natürlich auch wegen Pegida, die in Dresden gegründet wurde, und der AfD, die hier hohe Wahlergebnisse erzielt. Aber vor allem, weil sich das Deutsche Hygiene-Museum bereits seit über 20 Jahren immer wieder mit seiner Geschichte auseinandersetzt. In seiner Dauerausstellung, in der man zum Beispiel lernt, dass seine Mitarbeiter seit der Gründung durch den Odol-Fabrikanten Karl August Lingner 1912 eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Eugenik spielten, lange bevor das Haus zur Propagandaeinrichtung der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“ wurde. Vor allem aber in seinen Sonderausstellungen, seit es sich in den neunziger Jahren als „Museum vom Menschen“ positionierte und seitdem den kulturwissenschaftlichen Blick auf die Naturwissenschaften wagt. Zuletzt war „Das Gesicht. Eine Spurensuche“ zu sehen, eine beeindruckende Schau, die bereits in mehreren Exponaten Rassismus thematisierte.

„Die Geschichte des Hauses ist der Rucksack, den wir tragen müssen“, sagt Museumschef Vogel. Auch jetzt wieder waren nicht tagespolitische Ereignisse, sondern die Vergangenheit des Hauses der Anstoß dafür, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen. Schon vor 1933 wurde am Haus die sogenannte deutsche Rassenhygiene akademisch entwickelt und popularisiert. 1933 startete in Dresden die Wanderausstellung „Entartete Kunst“, 1939 die Deutsche Kolonialausstellung. Entsprechend historisch ist auch der Fokus auf die europäische und deutsche Tradition von der Aufklärung bis zum Kolonialismus: „Das Andere wurde immer als das Fremde wahrgenommen und konstruiert, als Exotismus und Orientalismus“, sagt Vogel. Die aktuelle Ausstellung soll nun zeigen, wie willkürlich die Kategorie „Rasse“ ist, wie konstruiert, wie sehr sie mit dem Menschen- und Weltbild insbesondere des 19. Jahrhunderts verknüpft ist.

2015, 80 Jahre nach den Nürnberger Rassegesetzen, organisierte das Museum eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema Rassismus. Die zeitliche Trennung von Konferenz und Ausstellung erwies sich als ein Glücksfall, sagt Kuratorin und Projektleiterin Susanne Wernsing: „Wir haben viel gelernt.“ Der historische Blick auf die Konstruktion von Rassen habe sich dadurch auf die rassistischen Auswirkungen bis heute geweitet. So sind im Begleitband zur Ausstellung jetzt auch Sozialwissenschaftler mit postkolonialem Fokus vertreten. Und vieles, was es – schon aus Platzgründen – nicht in die Ausstellung geschafft hat, wird im Begleitprogramm thematisiert, in Diskussionen, Vorträgen, Führungen.

So auch Ansätze der Kritischen Weißseinsforschung: Was bedeutet es, weiß zu sein? Welche Privilegien sind damit verbunden? Wo denkt und handelt man rassistisch, ohne es zu merken? Perspektiven, die durchaus Einfluss auf die Ausstellung hatten, auch wenn Wernsing sagt: „Es geht uns nicht um Jagd auf Rassisten, sondern darum, Denk- und Wahrnehmungsstrukturen zu hinterfragen.“

Denn das zentrale Problem der historischen Perspektive ist Wernsing bewusst: „Das, was ich bestreite, die Existenz von menschlichen Rassen, muss ich ständig zeigen“ – weil die his­torischen Plakate, Bücher, Broschüren genau das behaupten. „Wir arbeiten mit Exponaten, die geschaffen wurden, die Idee menschlicher ‚Rassen’ in die Köpfe der Menschen zu bringen. Die Kunst, die uns gelingen muss, ist, die Objekte so zu präsentieren, dass ihre Gemachtheit deutlich wird.“ Deshalb werden zum Beispiel die rassistischen Plakate der dreißiger Jahre auf ­Arbeitstischen gezeigt, als Untersuchungsgegenstand markiert. An den Wänden hängen hingegen Werke der klassischen Moderne, die damals als „entartet“ diffamiert wurden.

Die Ausstellung will aber auch Gegenbilder schaffen. Etwa mit dem Film von John A. Kantara, der drei afrodeutsche Generationen im Gespräch zeigt – Kantaras Sohn, Kantara selbst und den Bundesverdienstkreuzträger Theodor Wonja Michael, die sich über ihre Heimat Deutschland unterhalten: Was hat sich in den vergangenen hundert Jahren verändert? Und welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Weil die Ausstellungsmacher darüber hinaus „Sprecherpositionen erweitern und verschieben“ wollen, haben sie eine Arbeitsgruppe um die postkoloniale Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin Natasha A. Kelly eingeladen. Sie wird Exponate der Ausstellung kritisch prüfen. Ihre Kommentare sollen dann für die Besucher nachzulesen sein – unzensiert. Der Blick auf die eigene Perspektive wird damit Teil der Schau.

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