Theaterkritik: Eddy bleibt unhöflich

Theaterkritik: Eddy bleibt unhöflich

„Im Herzen der Gewalt“ – An der Berliner Schaubühne macht Thomas Ostermeier aus Édouard Louis‘ Roman-Zumutung einen menschenfreundlichen Abend

Am Ende liegt Édouard auf dem Boden, nur mit einem Handtuch um die Hüften, grinst und spreizt das umgedrehte Victory-Zeichen in die Kamera. Als Geste entspricht das dem Stinkefinger: Fick dich, verpiss dich.

Édouard Louis‘ zweiter Roman „Im Herzen der Gewalt“, 2017 auf Deutsch erschienen, ist eine Zumutung. Nicht, weil Louis von seiner Vergewaltigung und einem möglichen Mordversuch berichtet, von demütigenden Untersuchungen im Krankenhaus und peinlichen Nachfragen auf mehreren Polizeirevieren. Sondern wie er es tut: radikal subjektiv, weinerlich, selbstmitleidig. Sich selbst befragt er minutiös, kommentiert sich dabei, entblößt sich und alle anderen Handelnden, die – wie in seinem Debüt „Das Ende von Eddy“ – reale Menschen seiner Umgebung sind.

Oft wirkt seine literarische Selbstermächtigung, als wolle er einen Großteil jener Regeln brechen, die für herzensgebildete, wohlerzogene Menschen gelten. Zum Beispiel: Du sollst deine Familie nicht als egoistische Dumpfbacken darstellen. Du sollst nicht mit deiner Intellektualität, Bildung, deinem Aufstieg kokettieren. Du darfst die Hand nicht beißen, die dir hilft. Du darfst unter keinen Umständen rassistisch denken, und wenn, dann es besser nicht zugeben. Das ist schwer erträglich.

Nach Didier Eribons Essay „Rückkehr nach Reims“ hat Thomas Ostermeier jetzt die deutschsprachige Erstaufführung von Louis‘ Roman inszeniert. Eribon ist Louis‘ Mentor und selbst Nebenfigur im Roman, aber nicht auf der Bühne. Bei der Premiere in der Schaubühne saß er neben dem Autor und applaudierte begeistert. Vielleicht hat er sich zwischendurch aber auch gewundert. Denn anders als Louis‘ Roman hat Ostermeiers Inszenierung wenig von einem Regelbruch. Im Gegenteil: In guten zwei Stunden erzählt der Theaterabend effizient und menschenfreundlich vom schwulen Jungen Édouard, der auf dem Heimweg Reda begegnet, einem Kabylen, den er mit in seine Wohnung nimmt, wo sie mehrfach Sex haben, trinken, reden, lachen. Bis Reda beim Abschied versucht, Édouards Handy und Tablet zu stehlen und die Stimmung in Gewalt kippt.

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