Theaterkritik: Quatsch in Camouflage
Champignol wider Willen – An der Berliner Schaubühne sucht Herbert Fritsch in Feydeaus Vaudevillekomödie den Überboulevard
Berlin, 24. Oktober 2018. Noch ist die Leinwand weiß. Der Capitaine der Truppe, zu der Champignol als Reservist eingezogen ist, hat sich nämlich in den Kopf gesetzt, sich von dem berühmten Maler porträtieren zu lassen. Nur ist Champignol ja gar gar nicht Champignol, sondern St. Florimont, der nur so tut als ob, um Champignols Frau Angèle nicht zu kompromittieren, mit der er beinahe eine Affäre gehabt hätte. Aber es kommen ja ständig Leute dazwischen, und weil es natürlich in Ordnung geht, wenn der Ehemann mit der Ehefrau, spielt er also diesen Ehemann – und muss als Champignol zur Truppe.
Dort droht alles aufzufliegen, weil der cholerische Capitaine ein Bild will. Erst mal verheddert sich Bastian Reiber in die Leinwand. Dann nimmt er einen Klacks Rot, haut ihn mit Verve auf die Leindwandrückseite. Irgendwie landet sein Pinsel hinterm Steg, die Leinwand auf dem Boden, er selbst steppt darauf herum. Als Axel Wandtkes Capitaine dazukommt, um zu schauen, was es denn geworden ist, faselt Reiber etwas von Prozess, Performance: „Ich komme ja eigentlich vom Tanz.“
Das ist eine herrliche Kunst-Windbeutelei, ein Hurz!-Moment, eine Slapstickorgie, wie man sie von Regisseur Herbert Fritsch gewohnt ist: entfesselt, schön bekloppt und gerade darin entlarvend. Nur bleiben solche Momente in „Champignol wider Willen“ an der Schaubühne leuchtende Farbtupfer in der Einheitscamouflage, die den gesamten Bühnenkasten bedeckt. Eigentlich müsste dieses Feydeau-Stück von 1892 so richtig zünden, schließlich erinnert vieles an Fritschs Überboulevard-Kracher Die (s)panische Fliege: Vertuschungen, Verwechslungen, Notlügen entlarven die bürgerliche Ordnung als fragiles Gebilde aus Gier und Doppelmoral.