Theaterkritik: Narzissmus als Staatsform
Westend – Stephan Kimmigs Moritz-Rinke-Uraufführung am Deutschen Theater Berlin
Berlin, 21. Dezember 2018. Da steht er nun, der alte, einsame Mann, allein in der riesigen kahlen Halle seiner Villa, und hat es mal wieder versaut. Er weiß selbst nicht so recht warum. Aber er leidet, leidet mit jeder Faser, mit jedem Seelenzipfel. „Hold me“, jault Ulrich Matthes‘ Eduard mit hoher Stimme, „love me“. Es ist zum Heulen.
Das ist schon deshalb so bemerkenswert, weil einen an dem, was da auf der Bühne passiert, ansonsten nur wenig berührt, ja angeht. Moritz Rinke hat sein neues Stück „Westend“ genannt: Zwischen Schönheitschirurg Eduard und seiner Frau Charlotte, dem Arzt Michael und der Medizin-Studentin Lilly funkt es über Kreuz. Später kommen noch Lillys Vater Marek und dessen russisch-amerikanische Freundin Eleonora hinzu. Alle sind sie tragisch miteinander verstrickt, stürzen sich blindlings aufeinander, begehren aber nur die eigenen Projektionen.
Damit diese Anziehungen und Abstoßungen, dieses Gequassel und Gefummel und In-Traumata-Gestochere im gehobenen Bildungsbürgertum nicht zu seifenopernd rüberkommt, hat Rinke die Konstellationen, Motive, Namen aus Goethes „Wahlverwandtschaften“ entlehnt, jener großen Versuchsanordnung der Gefühle, die an der Unauflösbarkeit von Leidenschaft und Sittlichkeit zerschellt. Bei Rinke hingegen diskutieren lauter wohlstandsverwahrloste Menschen die Fragen der Zeit, ohne sich wirklich dafür zu interessieren, weil sie vor allem mit sich selbst beschäftigt sind. Statt der Wahlverwandtschaften reagieren die Triebkräfte, wie es einmal heißt. Oder um es mit Eduard zu sagen: „Der Narzissmus ist unsere Staatsform.“