Opernkritik: Tor! Tor! Tor für Ungarn!
Ihre Beinarbeit heißt Stepptanz, ihr Ballbesitz Revue: Paul Abrahams „Roxy und ihr Wunderteam“ in der Komischen Oper.
Was für ein Finale! Die Menge tobt, die Mädels jubeln, rotweißgrüne Schals und Fahnen überall. Dann die entscheidende Nachricht: Tor! Tor! Tor für Ungarn! Als jetzt das Siegerteam einläuft, schnappt sich Roxy endlich Mittelstürmer Gjurka, der ihr gefühlt schon seit drei Stunden gehört – und küsst ihn mit dem Elan eines Stürmers.
Früher, in der alten Operette, wäre das andersrum gelaufen. Hier aber, in Paul Abrahams „Roxy und ihr Wunderteam“, ist es von Anfang an die Titelfigur, die den Angelhaken auswirft. Roxy ist zwar nicht ganz so emanzipatorisch angelegt wie die Frauenfiguren in der anderen Abraham-Operetten-Ausgrabung an der Komischen Oper, der Dauererfolg „Ball im Savoy“. Aber auch diese Fußballhommage geizt nicht mit ironischen Seitenhieben. Und könnte zugleich Paare versöhnen, in denen er das packende Spiel und sie die Revue mit Liebeshappyend will.
Der Pokal ist gleich zu Beginn gewonnen, wackelt aber, weil die Briten Revanche verlangen. Also verordnet der Vereinspräsident hartes Training und Abstinenz. Auf einem einsamen Landgut am Balaton sollen sich die Kicker vorbereiten. Allerdings bringt Roxy alles durcheinander, die vor ihrem Langweiler-Bräutigam und ihrem geizigen Onkel flieht und allen den Kopf verdreht. Und später auch ein Mädchenpensionat, das – was für ein Zufall! – ebenfalls im Gutshaus absteigt.
Natürlich folgt das alles schönster Operettenlogik. Unter der glänzenden Oberfläche allerdings pulsieren die Konflikte. Der zwischen den Klassen etwa – Roxy hat Geld, Gjurka keins. Oder der zwischen einer liberalen Welt und einer totalitären. Abrahams Operette kam 1936 in Budapest und 1937 in Wien heraus – längst hatte der jüdische Komponist Deutschland verlassen müssen. Daran erinnern bissige Sätze wie „Das hat man jetzt von der Pressefreiheit“ (als die ungarischen Blätter einen Spieler kritisieren). Und der Ort des Revanchespiels: Laut Libretto findet es in Budapest statt, Bühnenbildner Stephan Prattes aber verlegt es vor die gespenstisch leere Kulisse des Berliner Olympiastadions.
Doch das sind nur winzige Stolpersteinchen im Spaßgetriebe dieses Abends, die man als ironisches Sperrfeuer gegen den nazistischen Geist lesen, aber ebenso gut übersehen kann. Das gilt auch für die rhythmische Sportgymnastik der Mädels oder ihr Lob der Handarbeit, Nummern, die dem finsteren Zeitgeist aus Deutschland keck, zugleich hilflos entgegengrinsen.
Die Komische Oper hat mit „Ball im Savoy“ und dem konzertanten „Viktoria und ihr Husar“ schon viel dafür getan, Abraham wieder auf die Bühne zu holen. „Roxy“ besitzt eingängige Schlagernummern voller Textkomik, die oft hinreißend instrumentiert sind. Kai Tietje und das Orchester der Komischen Oper klingen wie eine lässige Jazzband, die gut gelaunt das Tempo hochhält und hin und wieder ironische Glanzpunkte setzt. Etwa am Balaton, wo Tietje zum Akkordeon greift, um Ungarn-Operettenklischees aufzugreifen, die es hier allenfalls noch als Zitat gibt – Seele und Paprika, ach.
Aber der Abend ist ja ohnehin ein Starvehikel für die Geschwister Pfister, Berlins Garanten für doppeldeutige Leichtigkeit und Showperfektion. Und als solches funktioniert es wunderbar! Christoph Marti alias Ursli Pfister beherrscht die Kunst, eine Rolle gleichzeitig zu verkörpern und sie zu ironisieren. Seine Roxy – blonder Wuschelkopf, jugendlicher Optimismus – greift sämtliche Divengesten auf, wirft den Kopf in den Nacken, streckt das Kinn vor, beherrscht mit jedem Blick die Szene. Seine Auftritte sind Variationen des 30er-Jahre-Hollywood, seine Stimme eine Mischung aus Marlene Dietrich und Zarah Leander. Ja, sie war schon mal schlagkräftiger, was sich auch für Tobias Bonns (Toni Pfister) Gjurka und Andreja Schneiders Rollen (etwa als Leiterin des Mädchenpensionats) sagen ließe. Aber wie sie ihre Charaktere zwischen charmanter Profilerfüllung und feiner Parodie balancieren, macht ihnen so schnell keiner nach.
Sie können sich allerdings auch auf die Energie verlassen, die das Fußballteam um Jörn-Felix Alts hinreißend hemmungslos agierenden Torwart in den Abend pumpt. Ihre Beinarbeit heißt Stepptanz, ihr Ballbesitz Revue. Und auch die zwölf Mädels tanzen und singen, als hätte Abraham aus Versehen das Musical erfunden. Daneben setzen vor allem Mathias Schlung in herrlich kabarettistischen Miniaturen und Uwe Schönbeck als Schottenwitz auf zwei Beinen (mit einem umwerfenden Spar-Couplet) szenische Glanzlichter.
Regisseur Stefan Huber lässt die Geschichte ordentlich schäumen im opulenten Bühnenbild, das höchst fantasievoll in Art-déco-Hotel, Zug, Landhaus-Idylle und Stadion überall den Fußball entdeckt (sogar der Mond ist einer!). Zielsicher steuert er die Tableaus auf der kleinen, dem zentralen Ball-Kreis vorgelagerten Showtreppe an. Ansonsten kann er sich auf seine Darsteller ebenso verlassen wie auf Danny Costellos ausufernde Choreografien, die lässig Tanz und Gymnastik verbinden. Und auf Heike Seidlers Kostüme, die Eleganz und 30er-Jahre-Sportlichkeit vereinen. So entsteht ein Abend, der vor Energie und Witz sprüht – und einen gut gelaunt in den Sommerabend entlässt.