Bellegueule kommt zurück

Bellegueule kommt zurück

Das Eddy-Projekt – Wabe Berlin – Alexander Weise erzählt mit Jugendlichen, mit Alexander Fehling und mit Édouard Louis‘ Romanen von Klasse, Emanzipation und Wut

Was ist mit diesem Typen los? Ein Mann steht im Licht und hadert. Denkt nach, zögert, spricht. Wägt ab, prescht plötzlich vor in seiner Argumentation, die er mehr sich selbst als einem imaginären Gegenüber vorträgt. Es ist Édouard Louis‘ Abrechnung mit einem Staat und seinen politisch Verantwortlichen, die aus Menschen wie seinen Eltern Verlierer gemacht haben. Die nicht wissen, dass, wenn man eine Sozialleistung um fünf Euro kürzt, bei vielen eine Welt zusammenbricht. Und es ist Alexander Fehling, der allein den Raum beherrscht. Dessen Körper hier denkt und dessen Worte manchmal für Sekunden in der Luft zu hängen scheinen, als ließe sie sich zurückholen, wenn eine Formulierung nicht trägt.

Eddy Bellegueule ist erwachsen geworden in Alexander Weises „Das Eddy-Projekt“. In seinem autobiografischen Erstling „Das Ende von Eddy“ (En finir avec Eddy Belleguelle, 2014) schildert Édouard Louis seine Herkunft, das prekäre Milieu seiner Eltern, in dem er – begabt, aber vor allem: schwul – wie ein Monster wirkt. Seine Anwesenheit, sein Anderssein stellt sowohl das Selbstverständnis als auch die Selbstzufriedenheit der Arbeiterklasse in Frage, Ablehnung, Mobbing, Gewalt inklusive. In „Wer hat meinen Vater umgebracht“ (Qui a tué mon père, 2018) schickt Louis dann eine Art Entschuldigung hinterher. Es ist eine verspätete Liebeserklärung an den Vater, zugleich eine Anklage.

Beide Romane (man könnte sie auch als autobiografische Essays labeln) werden erstaunlich oft fürs Theater adaptiert. Alexander Weise, Schauspieler und Sprechchortrainer bei Ulrich Rasche und Karin Henkel, inszeniert sie als eine Art Entwicklungsroman: zunächst der Jugendfuror, dann das erwachsene Begreifen. Und zwar im Berliner Kulturzentrum Wabe, im Schatten der Plattenbauten des Ernst-Thälmann-Parks unweit der Neobiedermeierkieze von Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Ein Ort also zwischen Arbeiterklasse und Bildungselite, den beiden Polen von Édouard Louis‘ Biografie.

Im ersten Teil lässt Weise vier junge Schauspieler:innen und fünf jugendliche Laien chorisch auf Eddys Klagegesang los, auf all die plastischen Beschreibungen von Armut und Brutalität, seinem Kratzen an der Oberfläche, bis es blutet und seine Wut, sein Trotz, sein Selbstmitleid hemmungslos wird.

Entsprechend steigern sich die neun Spieler:innen zuweilen bewegend, mitunter exaltiert in den Text, während David Schwarz am Rand mit Loops und Gitarren einen treibenden Sound entwickelt. Auf der achteckigen zentralen Spielfläche gehen sie im Kreis um vier Neonröhren in der Mitte, ein leeres Zentrum. An den Rändern liegen Laub, eine verrostete Satellitenschüssel, eine leere Tonne, ein abgerockter Mülleimer.

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