Theaterkritik: Warum der Klimawandel so erschütternd ist
„Klima-Monologe“ im Heimathafen: Michael Ruf hat Interviews mit Betroffenen aus aller Welt geführt und bringt sie schnörkellos auf die Bühne
Ziemlich extrem, diese jüngste Aktion der „Letzten Generation“: Protestierende klebten sich auf dem Rollfeld des BER fest und blockierten so den gesamten Berliner Flugbetrieb. Was beim Ärger über Verspätungen, Staus, geplatzte Termine oft in den Hintergrund gerät: Die Erde steuert weiterhin auf eine Klimakatastrophe zu.
Was das konkret bedeutet, davon erzählen die „Klima-Monologe“ im Heimathafen Neukölln. Da ist Daniyal aus Pakistan, der Erdrutsche und Überschwemmungen erleben muss. Quabale aus Kenia verhungern die Rinder und Ziegen auf den Weiden. Johora aus Bangladesch überlebt gleich mehrere Zyklone und Fluten überlebt. Und Leigh-Anne entkommt in Kalifornien nur knapp den Flammen eines Waldbrandes.
Es sind erschütternde Geschichten, die auch deshalb so stark wirken, weil sie echt sind. Wie schon bei seinen Vorgängerprojekten hat Regisseur und Autor Michael Ruf Interviews mit Betroffenen geführt, sie verdichtet und ineinander verschränkt. Sie führen direkt ins Inferno, handeln aber nicht von den Katastrophen allein, sondern beginnen mit Kindheitserinnerungen, als die Gletscher noch intakt waren, der Regen zu den gewohnten Zeiten kam. Dann gibt es erste Anzeichen für Veränderungen. Und nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe. Einmal fragt Gülcan Maksude Cerdik als Johora: “Wie oft kann man alles neu aufbauen?“
Ruf hat diese besondere Art des dokumentarischen Theaters längst perfektioniert, zunächst als Teil der Bühne für Menschenrechte, jetzt unter dem Label Wort und Herzschlag: kein Bühnenbild, keine Kostüme. Sondern vier Schauspieler, die an der Rampe ihre Texte in Mikrofone sprechen. Im Hintergrund weben drei Musiker an Klavier, Cello, Geige einen emotionsverstärkenden Soundtrack drunter. Einerseits knipst diese Konzentration aufs Wort die Bilder im Kopf an – man fühlt sich nah dran.
Andererseits ermöglicht diese äußerst reduzierte Theaterform Aufführungsserien mit unterschiedlichsten Besetzungen überall im Land. So haben es die Vorgängerproduktionen – „Asyl-Monologe“, „Asyl-Dialoge“, „NSU-Monologe“ und „Mittelmeer-Monologe“ – mittlerweile auf über 900 Aufführungen gebracht, in Theatern, Gemeindezentren, Initiativen. Es ist ein Theater, das aufwühlen will, aber eben nicht durch ästhetische Setzungen. Sondern allein durch die Kraft des Wortes. Und Argumente: Auf die 90 Minuten Vorstellung folgt immer ein Gespräch. Bei der Premiere waren Pit Terjung (Fridays For Future) und Kira Vinke (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) dabei. Vinke zog kluge Verbindungen zu den Überschwemmungen im Ahrtal und berichtete, was sie auf ihren Reisen in Krisengebiete am Stärksten geprägt hat: Dass die Menschen dort nicht wissen, wer für den Klimawandel verantwortlich ist (nämlich die Staaten im globalen Norden, also wir) und sich selbst die Schuld geben.
Das verstärkt noch einmal die emotionale Wucht des Abends, die manchmal in Gefahr ist. Denn während Spieler wie Meri Koivisto und Damon Zolfaghari ruhig und konzentriert ihre Geschichten nachzeichnen mit kleinen Gesten und knackender Sprache, servieren Gülcan Maksude Cerdik und teilweise auch Sara-Hiruth Zoude die Schicksale ihrer Protagonisten mit ziemlich dickem Pathos. Peer Kleinschmidts Musik engt zudem die Worte eher ein, statt ihnen Raum zu geben.
Dass die Geschichten dennoch unmittelbar berühren, spricht für die Kraft dieses Theaters. Man begreift die Dimensionen und Folgen des Klimawandels hier ganz anders als in den Nachrichten. Die Aktionen der „Letzten Generation“ mögen extrem sein. Die Folgen der globalen Erwärmung sind in jedem Fall extremer.