Theaterkritik: Auf dass alles einen Sog ergebe
Andrea Breths „Ich hab die Nacht geträumet“ am Berliner Ensemble ist ein wildes Potpourri im Albtraumland
Träume sind Schäume? Kann man so sehen. Man kann aber auch annehmen, dass sich in den Träumen das eigene Leben spiegelt, verrätselt zwar, voller grotesker Bilder und krasser Zuspitzungen, die sich aber doch auslegen und auf die Realität anwenden lassen. Siegmund Freud hat das in seiner 1899 erschienenen „Traumdeutung“ getan – und damit eines der einflussreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts geschrieben. Man kann sich das Werk eines Franz Kafka, eines René Magritte oder Salvador Dalí ohne Träume nicht vorstellen.
Nun hat auch Andrea Breth am Berliner Ensemble mit „Ich hab die Nacht geträumet“ einen Abend den Träumen gewidmet. Knapp 80 Lieder, Gedichte, Dialoge, Geschichten von Theodor W. Adorno und Ingeborg Bachmann, Thomas Brasch und Herta Müller, Franz Schubert und Friedrich Hollaender und vielen anderen (das Programmheft führt sie auf) montiert sie nach der Traumlogik: Nichts passt zusammen, auf dass am Ende alles zumindest einen Sog ergebe.
Dass die Musik dabei zunehmend dominiert, hat schon seine Richtigkeit. Denn Breth, die über Jahrzehnte die Seelen der Dramenklassiker von „Stella“ bis „Don Carlos“ zergliederte, also im besten Falle hoch nuanciertes, im schlechtesten Falle unterkühlt-manieriertes Sprechtheater inszenierte und in den 1990er Jahren die Schaubühne leitete, hat sich längst der Oper zugewandt. Nur selten noch kehrt sie für Stippvisiten ans Sprechtheater zurück, in Berlin zuletzt 2020 mit Yasmina Rezas „Drei Mal Leben“, ebenfalls am BE.
Nun also ein „Schauspiel mit Musik“, wie der Abend im Untertitel heißt. Sie hätte ihn allerdings auch einen absurden Sketch- und Liederabend nennen können. Denn das, was da gute drei Stunden lang über die Bühne geht, ist ein wildes Zitat-Potpourri mit Alptraumrand. Hinter einem Gazevorhang blicken wir auf einen schmalen Raum mit je einer Tür rechts und links, durch die die merkwürdigen Menschlein kommen – mal zu Fuß, mal aber auch gefahren auf kleinen Plattformen, fremdgesteuert.
Raimund Orfeo Voigts schmaler, graublauer Raum kann sich jederzeit erweitern zu einem größeren, verwinkelteren Saal oder gleich einem düsteren Flur mit sieben Türen. Wer dabei an Ritter Blaubart denkt und seine sieben Frauen, liegt vermutlich nicht verkehrt (Breth hat Béla Bartóks „Blaubart“-Oper 2015 in Salzburg inszeniert). Zudem wartet man förmlich auf die Zwillingsschwestern aus Stanley Kubricks Horrorfilm „The Shining“. Oder auf Alice, weil zwei der Türen ihre Höhe ändern, was wirkt, als wüchsen oder schrumpften die Figuren wie im Wunderland.
Stattdessen lugen komische Gestalten aus den Türen: Spießer, Bürger, Krämerseelen. Jens Kilian hat sie in graue Anzüge und Kostümen gesteckt; sie tragen Hüte, Krawatten, Handtaschen. Umständlich sind sie, in sich verdrehte Menschenattrappen, die leise ihre Texte abschnurren ohne große Betonung, in altmodische Telefonhörer hinein oder vor sich hin, manchmal auch in Richtung eines Gegenübers. Dialoge aber entstehen nirgends, auch wegen gelegentlicher Sprachverwirrung auf Englisch, Französisch, Russisch, Japanisch – alle sind hier gemeinsam einsam.
So wie Johanna Wokalek, einst am Wiener Burgtheater und bis heute im Film Expertin für äußerst genaue Charakterstudien. Sie singt einen Elvis-Presley-Song, lacht dann schrill und schlägt hin. Corinna Kirchhoff, noch so eine langjährige Breth-Vertraute, sitzt matronenhaft auf einem alten Sofa und redet ihren Stoffhund an, der plötzlich mit Cecilia Bartolis Stimme Koloraturen trällert. Oder sie fährt auf einem Koffer herein und wieder heraus. Alexander Simon kriegt noch die schärfsten Konturen, mal als verzweifelter Spießer, mal als abgründiger Verführer. Martin Rentzsch referiert, wie man ein Gespräch nur mit „Aha“ und „Soso“ bestreitet. Peter Luppa erwidert auf das russische Lied, das Irina Fedorova vorträgt: „Ich verstehe Sie nicht.“
Fedorova gehört zu einem zehnköpfigen Chor, der mehr spielt, als dass er singt, was sich gelegentlich zu schönen Bildern fügt. Das alles wird von Adam Benzwi am Klavier hinreißend leichtfüßig begleitet, wie improvisiert, mal aus dem Graben, mal von der Bühne aus hinter der letzten Tür. Dass selbst er, der zusammen mit Barrie Kosky an der Komischen Oper die Jazz-Operette wiederbelebte und am BE die „Dreigroschenoper“ dirigiert, dem Abend nicht mehr Leben einpumpen kann, sagt viel über die bleierne Schwere, die über ihm liegt. Was hätte ein Kosky, was ein Christoph Marthaler aus diesem Material gemacht!
So aber dehnt sich dieses Varieté der gescheiterten Begegnungen mit Ausflügen in den müden Slapstick doch arg. Und bleibt dabei weit entfernt von einer Traumlogik. Träume wirken ja gerade deshalb so stark, weil sie bei aller Absurdität so entsetzlich folgerichtig erscheinen, als gäbe es zur sich andeutenden Katastrophe oder den unwahrscheinlichen Begegnungen keine Alternative. Hier aber bleibt alles austauschbar, zusammengeklebt, müde.