Theaterkritik: Abschicken, löschen, neuschreiben

Theaterkritik: Abschicken, löschen, neuschreiben

Kann man sich auf Distanz ineinander verlieben? Sehr gut sogar, wie Stanislava Jevićs „Out There“ zeigt. Regisseurin Dominique Enz hat in ihrer Hamburger Uraufführungsinszenierung für die räumliche Trennung ein schlüssiges Bild gefunden.

Wie stehen die Chancen, dass eine Liebe hält, die über die Distanz entsteht? Nicht so gut. Zu groß ist die Gefahr, den oder die andere(n) zur Projektionsfläche für die eigenen Bedürfnisse zu machen, zu fragil sind oft noch gemeinsame Narrative, um Irritationen zu überbrücken. Und so deuten Autorin Stanislava Jević und Regisseurin Dominique Enz mit mehreren Schluss-Varianten an, wie die Geschichte von Angelina und Leo ausgehen könnte: zerbrochen an unterschiedlichen Bedürfnissen und Verpflichtungen.

Denn was ist eher zum Scheitern verurteilt als jugendliche Liebe? Gerade weil man noch glaubt, dieses alles zerkribbelnde, durchflutende Gefühl könne sämtliche Grenzen überwinden. Angelina und Leo merken in „Out There“ ja selbst schnell, wie verschieden sie sind: Angelina lebt als Kind polnischer Migrant:innen in eher bescheidenen Verhältnissen, ist zudem hochgradig eingebunden in Familie, Sport, Musik, Klima-Aktivismus, wird überall gebraucht. Leo hingegen wächst im Wohlstand einer chaotischen Patchworkfamilie auf, wirkt sozial weniger vernetzt, definiert sich als genderfluid, hat Verlustängste.

Wie also sich verständigen? Durch Kommunikation! Sie funktioniert hier – nach einer initialen Begegnung auf einer Fridays-For-Future-Demo – sehr zeitgenössisch über Chats, Sprachnachrichten, FaceTime-Anrufe. Später telefonieren Angelina und Leo lange. Wir erfahren entsprechend viel über die Sehnsüchte, Ängste, Leidenschaften der beiden, sehen sie zugleich unsicher und herrlich pubertär Nachrichten texten, abschicken, löschen, neuschreiben …

Der größte, sehr nachvollziehbare Clou der Uraufführungsinszenierung allerdings wird beim Gastspiel in Heidelberg nur erahnbar. Am Jungen Schauspielhaus Hamburg teilt sich das Publikum zu Beginn, erlebt die Geschichte entweder aus Angelinas oder Leos Perspektive, um die finale Live-Begegnung der beiden dann im Foyer zu verfolgen. Nach Heidelberg aber hat es nur Angelinas schmales Jugendzimmer mit seinen Dachschrägen geschafft; Leos Altbau mit Flügeltüren und Dielen blieb in Hamburg. Deshalb erleben wir alle gemeinsam erst eine knappe Stunde lang Angelinas Perspektive im Zwinger 3, ziehen dann in den Zwinger 1, um im nahezu leeren Raum Leo bei der gemeinsamen Telefonbegegnung zu verfolgen. Draußen, im Hof, gibt’s das (vorläufige) Happy End: zwei unter einer Decke, allen Unbilden und Herausforderungen zum Trotz.

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