Vorbericht: Singen und Humor sollen beim Überlebenskampf helfen
Mit der Verbindung von Natur und Kultur setzt sich die Neuköllner Oper in der Trilogie „The Present rettet die Welt“ auseinander
Was ist das hier? Ein Konzert? Eine Trauerfeier? Eine Geisterbeschwörung? Fünf Figuren in Weiß, Gummistiefel an den Füßen, merkwürdige Hauben auf dem Kopf, nähern sich auf dem stillgelegten St. Jacobi-Friedhof der Kiezkapelle. Drinnen nehmen sie zwischen merkwürdigen Apparaturen Abschied von ausgestorbenen Arten, der Mauritius-Gans, dem Loreley-Dickkopffalter, dem Chinesischen Flussdelfin. Und singen ihnen Lieder: Johannes Brahms‘ „Selig sind, die da Leid tragen“, Franz Schuberts „Gefrorne Tränen“, Justin Timberlakes „Cry Me A River”.
„Cry Me A River” hieß auch der Abend im März, mit dem die Trilogie „The Present rettet die Welt“ begann. Das solistische Vokalensemble – Hanna Herfurtner, Olivia Stahn, Amélie Saadia, Will Frost und Florian Hille – hat sich vorgenommen, gegen die Klimakatastrophe und das Artensterben anzusingen. Ging es in Teil 1 noch um die konkrete Trauerarbeit, das Begreifen des Verlusts, die Akzeptanz des Unabwendbaren, widmet sich Teil 2 dem Überlebenskampf: „Work, Bitch!“ In Teil 3, „Fountain of Joy“, fokussiert auf die Utopie: Wie kann die Zukunft gelingen?
Alle drei Produktionen entstehen an der Neuköllner Oper, suchen sich allerdings Orte, an denen sich Natur und Kultur begegnen: Teil 2 wird vom 11. Mai an die FLOATING University (das Regenwasserrückhaltebecken für den Ex-Flughafen Tempelhof) zum Zukunfts-Trainingscamp machen. In Teil 3 wandert The Present ab 6. Juli durch den Spreepark, um herauszufinden, „wie eine Verbundenheit zwischen Natur und Kultur klingen könnte“.
Nun muss man das alles nicht zu ernst nehmen: Witz und Ironie lauern hier durchaus zwischen den Zeilen der Texte und Lieder, das macht schon die wilde Musikmischung zwischen Klassik und Pop klar. „Cry Me A River“ etwa endete mit Helene Fischers „Hinter den Tränen“, einem Hoffnungslied äußerst bittersüßer Art. Und auch die Ankündigungen zu Teil 2 und 3 lassen vermuten, dass sich The Present durchaus der Unmöglichkeit ihres Rettungs-Unterfangens bewusst sind. Ist Ironie angesichts eines möglichen Endes menschlichen Lebens angebracht? „Wenn es darum geht, einen Funken Hoffnung zu spüren, dann doch über den Humor“, sagt Dramaturgin Änne-Marthe Kühn. Auch wenn er mitunter bitter und schwarz ist. „Aber solange man lacht, kann man verstehen, und dann ist noch nicht alles verloren. Und solange man gegen die Hoffnungslosigkeit anarbeitet, Tag für Tag.“
Zwar sind die Abende düster grundiert, zugleich aber sehnsüchtig leicht. Hier sind Profis am Werk, die Gefühle und Informationen sehr genau zu dosieren vermögen. Quintett-Mitglied Amélie Saadia besorgt die sich betörend schön auffächernden Arrangements, Hsuan Huang die sanft irritierende Ausstattung, Regie führt Therese Schmidt. Und das mit Gespür für eindrückliche Bilder. Wenn sich etwa die Namen der ausgestorbenen Tierarten auf dem Overheadprojektor derart überlagern, dass man bald nichts mehr erkennt, bekommt man eine Ahnung davon, wie viele Lebewesen wir schon verdrängt haben.
Kann man also mit Kunst die Welt retten? „Das wäre schön“, sagt Kühn. „Wenn man es schafft, nicht aufzugeben und bestimmte Gedanken voranbringen kann, dann vielleicht.“ Und: „Singen hilft in jedem Fall, egal ob man es kann oder nicht.“ Singen können The Present. Mal sehen, ob sich noch die Zuversicht einstellt.