Musicalkritik: Rodeo auf dem Amtsschimmel
Die Musiktheatergruppe glanz&krawall steht für wilde Sausen, bei denen Klassiker der Kompositonskunst erhaben durch den Kakao gezogen werden. Mit dem Theater Thikwa nehmen sie sich jetzt in „Die Tüten aus der Verwaltung“ das deutsche Behördenwesen vor. Special Guests: die Bürokratie-Abrissunternehmer Christian Lindner und Friedrich Merz.
Zur Verwaltung hat wirklich jeder Mensch eine Meinung – und selten eine gute. Auf jede Rettungsgeschichte in letzter Minute, auf jede Hilfe, jeden freundlichen Dialog kommen (zumindest in Berlin) fünf Horrorgeschichten: zu lang, zu streng, zu verworren, zu unerbittlich. Wenn man nicht sehr gut Deutsch spricht, ist man ohnehin ziemlich aufgeschmissen.
Natürlich haben all die Klischees über Ämter und Beamte auch ihre komische Seite, wie das Berliner Theater Thikwa und die Musiktheatergruppe glanz&krawall jetzt in „Die Tüten aus der Verwaltung“ beweisen. Sie haben einen schreiend komischen Musical-Alptraum irgendwo zwischen Genre-Parodie und -Aneignung erdacht, voller gereimter Spitzen und Klischee-Übersteigerungen.
Einerseits sitzen die Bilder von Ausstatterin Raissa Kankelfitz. Erst sorgt ein riesiger „Abgelehnt“-Stempel für Angst und Schrecken, dann kommen sie mit kolossalen Motto-Kaffeepötten („Sprich mich nicht an. Ich habe Montag“) hereinmarschiert: die vier weiblichen Behördenmitarbeiterinnen und ihr – natürlich männlicher – Chef. Auf den Köpfen tragen sie glitzernde Tüten-Helme. Über ihnen zeigt die Uhr vorm Vorhang ewig drei vor Zwölf.
Andererseits schlägt der Abend inhaltlich herrliche Volten. Denn, klar, im Zentrum steht die hinreißend witzige Amtsparodie, die Regisseurin Marielle Sterra mit Revue-Schwung und nur minimalen Durchhängern inszeniert: Mail-Ballett auf der übergroßen Tastatur in der Bühnenmitte (mit Trampolins!), Kaffeepause alle zehn Minuten, und im Zweifel wird ein Bescheid abgelehnt, Motto: „Du darfst nichts riskieren!“ Manchmal fährt ein kurzer Angst-Ruck durch die Gemeinde, wenn jemand „Dienstaufsichtsbeschwerde“ ruft. Aber alles gut: War nur ein schlechter Traum.