Theaterkritik: Deys Liebe

Theaterkritik: Deys Liebe

Mit dem wundersamen wie vielschichtigen Roman „Blutbuch“ gewann Kim de l’Horizon 2022 den Deutschen Buchpreis. In Jan Friedrich gefeierter und beim Stückemarkt für den Nachspielpreis nominierter Inszenierung verschmelzen Bilder und Worte kongenial.

Wenn die Großmeer ihre Fotzelschnitten verschlingt, dann kracht und schmatzt und schnauft es aus den Boxen, dass es einen gruselt. Iris Albrecht, weiß gepudert, im aschfahlen Greisinnengewand unter der brav gescheitelten Perücke, fletscht dazu die Zähne. Ihre Tochter, die Meer, erscheint schneidig kalt beim Kampf mit Kims Warzen, trägt die Hörner von Disneys böser Dornröschenfee. Über allem schwebt die Blutbuche und klappert mit den Wurzeln wie Edward mit seinen Scherenhänden. Und das kleine Kind mit seinen aufgemalten roten Bäckchen unterm blonden Schopf? Murmelt Zaubersprüche und quiekt zum Erbarmen.

Wenn Jan Friedrich im zweiten Teil seiner „Blutbuch“-Inszenierung am Theater Magdeburg ein Schauermärchen-Pandämonium entfacht, dann spitzt er damit die verwunschene, knorrige Sagenhaftigkeit zu, die Kim de l’Horizon im 2022 erschienenen Roman wuchern lässt. De l’Horizon erzählt in fünf Teilen, immer neuen Ansätzen und Stilen: von einem Leben als nicht-binärer Mensch. Von Identitätssuche und Identitätsfinden. Vom Schweigen der Großmeer und der Meer, von deys Liebe zu ihnen, von Großmeers Demenz. Von den Abgründen des schwulen Livestyles. Von Konsum und Schmerz, Klassismus und Nationalismus, Familientraumata und den gruseligen Spuren der Vererbung. Vom Nichtmiteinanderredenkönnen.

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