Opernkritik: Thomas Manns Novelle in einer grellen Fassung
„Mario und der Zauberer“ in der Werkstatt der Staatsoper
Endlich geht der Vorhang auf und das Auge staunt: ein echtes Varieté! Mit kleiner, plüschiger Bühne und zahlreichen Tischen, an denen das Publikum sitzt. Das allerdings ist nur zur Hälfte echt: Von jedem Sänger des Staatopern-Jugendchores gucken nur der Kopf und ein Arm aus der Bühnenwand, der Rest ist gemalt. Sie schweben im Raum, grelle Fratzen im schrägen Fummel, wie einem George-Grosz-Gemälde entsprungen.
Ein surrealer Augenschmaus ist diese Bühne in all ihrer Naivität, und sie passt gut zum schrillen, verstörenden Grundton in Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“ von 1930: In ihren Ferien im national-hysterischen Italien unter Mussolini wird eine deutsche Familie mehrfach diskriminiert und bestraft. Dennoch bleibt sie und sieht sich, auch wegen der Kinder, eine Zauber-Darbietung an, die sich als große Hypnose-Show entpuppt und an deren Ende Mario, ein freundlicher Kellner, vor aller Augen derart gedemütigt wird, dass er den Zauberer Cipolla erschießt.
In der Schule wird die Novelle gerne als Faschismusparabel gelesen, dabei verschränkt Mann in erster Linie sein Künstler-Dauerthema mit der Frage nach dem freien Willen. Auch die Vertonung von Stephen Oliver wird nie politisch eindeutig. Der britische, 1992 mit nur 42 Jahren an AIDS gestorbene Komponist hat die Handlung verknappt, den Erzähler gestrichen, die wortreichen Beschreibungen in Handlung übersetzt.
Oliver schrieb ebenso Musik für die Royal Shakespeare Company wie fürs Kino und die Hörspielfassung von „Der Herr der Ringe“, außerdem über 40 Opern. „Mario und der Zauberer“ ist wirkungsvolle Postromantik, ganz auf den dramatischen Effekt getrimmt. Schon in der Einleitung pulst die Erregung durchs Kammerorchester – eine nervöse Grundstimmung, die bis zum Schluss nicht weichen wird. Fahl ist der Klang und knöchern, den Felix Krieger den Staatskapellen-Musikern auf der Empore der Schillertheater-Werkstatt entlockt und damit die reibungsreiche Partitur noch weiter zuspitzt.
Mit der scheint Regisseurin und Ausstatterin Aniara Amos zunächst zu fremdeln. Vor dem Vorhang, über den bis zum Beginn das Meer als Videoprojektion rauscht, stehen Karikaturen, keine Menschen, die einander bekeifen – nur die Erinnerungen der Vermieterin Signora Angiolieri an die Schauspiel-Göttin Eleonore Duse interessieren, weil Elsa Dreisig sie ausdruckstark mit ihrem betörenden Sopran erzählt. Schwung erhält der Abend erst beim Zauberer. Das liegt wesentlich an David Oštreks Cipolla, ein blasser Riese mit schwarzem Bart und steilem Zylinder, der mit Taschenspielertricks, raumgreifenden Gesten sowie einem klug dosierten baritonalen Parlando das Publikum in seinen Bann zieht. Eine Wirkung, die der Jugendchor mit seinen grellen Einwürfen verstärkt.
Schade, dass Amos dieser Wirkung nicht traut. Ans Ende setzt sie gleich drei Schlüsse: Im ersten erschießt Mario den Zauberer, im zweiten nutzt die Mutter die Gelegenheit zur Rache. Beim dritten sterben alle, nur der Zauberer triumphiert – und das Kind klatscht begeistert. Ja, der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Aber das hätten wir auch ohne Holzhammer begriffen.