Theaterkritik: Gott schütze die Unschuldslämmer!
„A Walk on the Dark Side“ / „Elizaveta Bam“ – Am Doppel-Premierenabend des Berliner Gorki Theaters reist man mit Yael Ronen und Christian Weise in die Uckermark und nach Absurdistan
Wie war das noch mal mit dem Universum? Ach ja: Die schwarze Materie ist das, was das Ganze zusammenhält. Die schwarze Energie treibt alles auseinander. Und die schwarzen Löcher? Entwickeln vor allem dann zerstörerische Kräfte, wenn man ihnen zu nahe kommt. Alles nicht so schwer, sondern ziemlich nachvollziehbar. Jedenfalls wenn man, wie Yael Ronen, die Zusammenhänge einem youtubenden Wissenschaftsvermittler in den Mund legt und zugleich die physikalischen Urkräfte auf der Bühne personalisiert.
Natürlich geht es in Yael Ronens neuem Stück „A Walk on the Dark Side“ am Gorki Theater nicht um Naturphänomene. Sondern einmal mehr um jene menschlichen Abgründe, die in Gewalt münden, psychische und physische. Drei ungleiche Brüder treibt sie mit größter Lust am Zusammenstoß aufeinander: Immanuel, den arroganten und preisgekrönten Astrophysiker. Mathias, den coolen, ein bisschen narzisstischen Nachwuchswissenschaftler mit riesiger Fanbase. Und David, den ungeliebten Halbbruder, die Nervensäge, den, der nicht richtig dazugehört, und mit dem sie eine gescheiterte Integrationsgeschichte verbindet: Immanuel und Mathias waren Schuld daran, dass David als Kind aus dem Fenster sprang.
Von alttestamentarischer Wucht sind hier nicht nur die Namen (Immanuel – Gott mit uns, Mathias – von JHWH gegeben, David – Liebling Gottes), sondern auch Schuld, Rache und Vergeltung. Kain und Abel, Jakob und Esau lassen grüßen, nur dass die Brüder hier zu dritt sind. Mitleid? Versöhnung? Wieso auch? Gott, der alles sieht und alles straft, ist tot. Um alles zu sehen, gibt es Google, Facebook und Co. Und wenn Verfehlungen offen zutage treten, regeln die Menschen das mit der Rache schon allein.
Ronen pfercht die drei Brüder zum Seelenstriptease und Showdown in ein Hotel in der Uckermark. Mit dabei: Mathias‘ suizidale Freundin Magda und Immanuels Frau Mania. Auch hier sprechen die Namen: Dass Magda als die bekehrte Sünderin ein ironischer Kommentar ist, liegt ebenso nahe wie die Vermutung, dass „die Rasende“ an Davids Rachefeldzug stärker beteiligt ist, als die Handlung vordergründig nahelegt.