Kolumne: In Richtung Rosarot

Kolumne: In Richtung Rosarot

Vor einem Jahr outeten sich 185 Bühnen-, Film- und Fernsehschauspieler:innen als schwul, lesbisch, bisexuell, trans und non-binär. Wie steht es um die angemahnte Queerness in einer anderen der szenischen Kunstformen – in der Oper?

Was, schon wieder ein Jahr rum? Als sich damals, Anfang Februar 2021, mit dem #actout-Manifest 185 Bühnen-, Film- und Fernsehschauspieler:innen als schwul, lesbisch, bisexuell, trans und non-binär outeten, knallte es mitten im Corona-Lockdown – und zeigte, dass auch an Theatern immer noch Normierungen hinsichtlich Geschlecht, sexueller Präferenz und Schönheitsvorstellungen existieren. Was aber ist mit den anderen szenischen Künsten, dem Musiktheater zum Beispiel? 185 Sänger:innen, die ebenfalls sagen: „Wir sind schon da“, müssten ja zu finden sein. Aber würde es die Opernwelt verändern?

Die Sache ist kompliziert. Denn Oper ist per se queer – also merkwürdig, verdreht, eigenartig, so die ursprüngliche Bedeutung des Worts. Oder, wie es Oscar Bie 1913 in seinem Buch „Die Oper“ gleich im ersten Satz formulierte: „Die Oper ist ein unmögliches Kunstwerk.“ Weil sie voller Widersprüche steckt: Sie „ist die Einbildung, daß es möglich ist, stundenlang eine zusammenhängende Musik zu schreiben, dass einige Noten dieser Musik von Sängern zu einem richtigen Drama als Wortunterlage gesungen werden, teilweise sogar alle untereinander, dass das begleitende Orchester seine Selbständigkeit trotzdem wahrt, dass das alles auf einer Bühne wirklich gemacht wird mit Dekorationen, Indispositionen, Eifersüchteleien und Balletten, dass dieser ganze Apparat im Verhältnis zum Publikum, welches ja im Grunde unmusikalisch ist, ein gutgehendes Rechenexempel wird und dass endlich, nachdem man alle diese Schwierigkeiten eingesehen hat, sich noch Leute finden, die eine Oper komponieren.“

Allein die äußerst naturferne Grundkonstellation, dass Menschen singen statt zu sprechen und für dieses Singen höchst kunstvoll geschulte Stimmen benötigen, ist queer. Weil Rollen und Ausführende nichts miteinander zu tun haben müssen. Wo Stimmfach, -material, -farbe ausschlaggebend für eine Besetzung sind, spielen Geschlecht und Aussehen eine untergeordnete Rolle. Und auch, wenn in den letzten Jahrzehnten Attraktivität und Spiellust wichtiger geworden sind, so ist es doch bis heute kaum vorstellbar, Cherubino mit einem Knabensopran zu besetzen statt mit einer Mezzosopranistin, nur damit das Geschlecht von Figur und Darsteller:in übereinstimmen.

Das Prinzip der Hosenrolle ist ja nur eines von vielen „unmöglichen“ Operneigenheiten. Wer Wahrscheinlichkeit erwartet, Logik, Eindeutigkeit, wird mit der Oper nicht glücklich. Wenn Frauen, die junge Männer spielen, sich wiederum als Frauen verkleiden (wie bei Mozart und Strauss), ist das mindestens eine Umdrehung zu viel – und zugleich wunderbar! Die Oper kennt dutzende dieser Konstellationen, dank Kastratenrollen, die von Frauen übernommen werden, dank der barocken Ammen mit Bassregister, aber auch dank des 20. Jahrhunderts, in dem Péter Eötvös etwa seine „Tri sestri“ (nach Tschechows „Drei Schwestern“) für drei Countertenöre schrieb.

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